Die Sommerlektüre
Die schönste Seite der Urlaubsvorbereitung ist nicht die Suche nach dem Zeckenentferner-Set oder das Überprüfen, ob der Bikini noch passt (nein) oder ob die Sonnencreme abgelaufen ist (man weiß es nicht). Nein, die schönste Seite ist eindeutig das Heraussuchen der Bücher, die man lesen möchte. Der Stapel ungelesener Bücher („SuB“ unter Insidern), der über Wochen und Monate in enger Zusammenarbeit mit dem schlechten Gewissen immer größer geworden ist, liegt plötzlich vor mir wie ein glitzerndes Meer. Mit zärtlichem Blick nehme ich die Bücher einzeln vom Stapel, verteile sie vor mir auf dem Fußboden und schiebe sie hin und her wie Memorykarten.
Um dann wenig später mit dem perfekten Stapel-Destillat endlich an dem echten glitzernden Meer anzukommen und festzustellen, dass es dort ziemlich windig ist. Und auch irgendwie sehr hell. Die Seiten flattern, Haare fliegen ins Gesicht. Irgendwas im Nacken juckt. Die Sonne wandert. Sind meine Füße eigentlich eingecremt? Mir ist zu warm. Und dann zu kühl. Ich ziehe ein T-Shirt über den Bikini und hole dann eine Strickjacke, um sie eventuell über das T-Shirt zu ziehen.
Kaum sitze ich wieder, krabbelt etwas an meinem Bein hoch. Ich höre andere Gäste reden und Hummeln summen und das Geräusch von Motorbooten. Leider kann ich nicht weghören, wenn andere Gäste reden, in welcher Sprache unterhalten die sich da? Und worüber? Sind das nicht überhaupt dieselben, die sich beim Frühstück jeweils mehrere Mini-Croissants und Unmengen von Aufschnitt auf den Teller gepackt und ihren Grapefruitsaft schon auf dem Weg vom Büffet zum Tisch getrunken haben?
So kann ich nicht lesen. Ich frage mich, wie die anderen das machen, wieso können die auf Strandtüchern liegen und lesen oder auf Liegen liegen und lesen oder, das ist das größte Wunder überhaupt: in Strandkörben sitzen und lesen? Könnte nicht endlich einmal jemand zugeben, dass Strandkörbe ungemütlich sind und völlig ungeeignet zum Lesen? Man rutscht herum auf dieser gummiartigen Innenverkleidung, die obendrein komisch riecht, überall ist Sand, die Fußkästen lassen sich nur schwer herausziehen, die Klapptischchen klemmen. Grobschlächtige Holzmonster mit Fake-Komfort. Die aber begehrter sind als jede Südterrasse mit elektrisch ausfahrbaren Markisen. Es gibt zwei Möglichkeiten, denke ich mir. Entweder mache ich etwas Grundlegendes falsch. Oder der Traum vom idyllischen Draußenlesen – im Halbschatten, bei lauen Temperaturen und noch lauerem Wind – ist ein Wunschtraum. Eine Fantasie, die in Form des Strandkorbs manifest wird und die wir in der anderen Jahreshälfte züchten wie Kresse auf der Fensterbank – bisschen so, wie man sich jedes Jahr hoffnungsvoll einbildet, mit Neujahr würde tatsächlich etwas Neues beginnen.
Mein erstes Buch liegt aufgeschlagen bei Seite 12/13 neben mir. Die Nachbarn reden, die Hummeln summen. Langsam glaube ich, dass der Stapel ungelesener Bücher ungelesen wieder mit mir nach Hause reist. Sehnsüchtig werde ich dann auf den Herbst warten, um eingekuschelt in eine warme Decke lesen zu können, bei Regen und Dunkelheit und Nässe und Nebel und einer Tasse Ingwertee. Ganz herrlich wird das.