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Schließlich stirbt die Queen nicht jeden Tag

Die Queen starb, und ich wollte sehr gern dabei sein. Selbstverständlich konnte ich es nicht pünktlich nach Balmoral oder auch nur bis zum Buckingham Palace schaffen, aber ich schaffte es am Abend auf unsere Couch, und ich träumte davon, mit der Fernbedienung in der Hand zwischen sämtlichen in- wie ausländischen Live-Nachrichtensendungen, Brennpunkten, Interviews, Rückblicken und Dokumentationen hin- und herzuschalten, denn ich wollte wirklich nichts verpassen. Ich hatte seit jeher ein enges Verhältnis zur Queen gehabt. Ihr Tod schockierte mich. Sie war doch erst 96. Und sah noch so gut aus. Erst zwei Tage war es her, dass sie einen Premierminister entlassen und eine Neue ins Amt gehoben hatte. Und jetzt, plötzlich, war sie tot? Tot wie in DEAD? Wie gesagt, ich musste dabei sein und begab mich aufs Sofa.

Allerdings ließ sich auch mein Mann darauf nieder. Und unser Hund davor. Letzterer war empört, weil er aufgrund von heftigen Wolkenbrüchen, die sich seit Mai aufgestaut und an diesem Tag innerhalb von zwei Stunden entladen hatten, am Nachmittag nicht vor die Tür gekommen und nun der Meinung war, es sei Zeit. Ersterer wollte zwar nicht vor die Tür, weigerte sich aber vehement, um die Königin zu trauern. Schlimmer noch, er weigerte sich, der Berichterstattung zu folgen. Sobald es hieß, Elizabeth habe ihr gesamtes Leben in den Dienst ihres Volkes gestellt, und dieser Satz wurde sehr oft wiederholt, erläuterte mein Mann empört, diese Frau habe schlicht gar nichts geleistet. Was für Verdienste?, polterte er. Leider hat er ein wahnsinnig gutes Gedächtnis. Alles Ungünstige, was wir in früheren Dokumentationen, bei Wikipedia und in der sehr guten Netflix-Serie „The Crown“ erfahren und gelernt hatten, hatte ich vergessen und vergeben. Er hingegen hatte sich jedes Detail gemerkt. Privates, Menschliches (Margaret, Lady Di, der Haldenrutsch in Südwales), Politisches – mein Mann hatte nichts davon vergessen. Und vergeben schon gar nicht. Je öfter die Sätze um die unendlichen Verdienste der Queen wiederholt wurden, desto lauter wurde das VoiceOver von links auf der Couch. Vor der Couch wurde es ebenfalls immer ungemütlicher, denn der Hund, der nicht klein ist, hatte sich aufgerichtet, und natürlich saß er nicht mit dem Gesicht zum Fernseher, so wie es angemessen gewesen wäre, sondern er saß mit dem Gesicht zu uns und starrte uns an, und zwar mit einem Blick, an dessen Finetuning die Evolution seit Tausenden von Jahren gearbeitet hatte und den sich der Hund für Notfälle aufgehoben hatte. Große, schwarze Knopfaugen bohrten sich unter leicht wackelnden Ohren abwechselnd in mein Gesicht und das meines Mannes. Wir versuchten, ihn zu ignorieren. Starr schauten wir über die wackelnden Ohren hinweg, inzwischen selbst vollkommen aufgerichtet auf der äußersten Sofakante sitzend, um überhaupt noch etwas sehen zu können. Auf den meisten Bildern wurden jetzt Beine oder, bei Nahaufnahmen, Kinn und Mund der Queen oder ihrer Weggefährten von den Wackelohren des Hundes verdeckt. Ich war bereit das hinzunehmen, wenn es bei dem Sitzen und Starren bliebe. Es blieb aber nicht dabei. Der Hund begann zu fiepen. Erst leise, dann lauter. Wir sagten Platz und Bleib und Jetzt nicht und Wir gehen ja bald, aber es half nichts. Der Hund griff zu immer härteren Maßnahmen.

Terrorist!, rief mein Mann, und kurz war ich unsicher, ob er den Hund meinte oder ein Mitglied des Königshauses. Ich selbst begann zu schwitzen. So hatte ich mir den Abschied von meiner Queen nicht vorgestellt. Um 20:43 Uhr verlor ich die Nerven und entschied, den Fernseher auszuschalten.

Okay, sagte mein Mann, kein Problem.

Wie der Hund das fand, brauchten wir nicht zu fragen, denn der war wie eine schwanzwedelnde Rakete zur Tür gerast und jankte glücklich-ungeduldig vor sich hin. Traurig zog ich mir die Schuhe an. Ich fand, die beiden hätten rücksichtsvoller sein können. Schließlich stirbt die Queen nicht jeden Tag.

> 09.09.2022