Das Blockhaus
Fünfundvierzig Mal gibt es das Blockhaus in Deutschland: Auf der Menükarte stehen an erster Stelle nicht Salate; Fleischliebhaber wissen das. Bereist man die französische Atlantikküste, finden sich ebenfalls immer wieder Schilder, die auf ein „blockhaus“ verweisen, allerdings lässt sich hier nichts bestellen, und man würde es auch nicht wollen, denn diese Blockhäuser bezeichnen im Französischen Bunker: jene Bunker nämlich, die die ehemalige Verteidigungslinie entlang der Küsten säumen und den sogenannten Atlantikwall bildeten. Um eine Invasion der Westalliierten zu verhindern, verlangte Hitler nach einem „Gürtel von Bollwerken“. Er bekam sie, und auch wenn der Wall nicht so geschlossen war wie erhofft und am Ende sowieso nichts nützte, wurden innerhalb von zwei Jahren über 8100 Bunker gebaut. Es gibt kleinere und sehr große, manche wurden in Museen verwandelt oder mit Schautafeln ausgestattet (das sind die beschilderten). Einige, die auf erhöhten Dünen errichtet wurden, sind durch die Bewegung des Sandes in Schieflage geraten oder ganz versunken – angeblich gibt es Bunker, die heute 25 Meter unter der Erde liegen –; andere wiederum sind bis zur Unsichtbarkeit eingewachsen. Sie alle jedoch eint, dass sie quasi unzerstörbar und unermesslich hässlich sind – störrische, gruselige, allen Zeiten und Gezeiten trotzende Betonmonster, die, sofern sie nicht vom Sand begraben wurden, als ewige Schandmale in einer ansonsten traumhaft schönen Landschaft sitzen.
Unnötig zu sagen, provoziert und beschämt ihr Anblick vor allem uns Deutsche, sodass wir bei Spaziergängen nicht selten in Schweigen verfallen, wenn Bunker und Franzosen gemeinsam in der Nähe sind. Was soll man sagen, désolées für den Mist, den unsere Vorfahren hier angerichtet haben, kommt nicht wieder vor? Dann lieber kurz den Mund halten.
Kürzlich sahen wir ein Absperrband und ein großes Schild an dem Bunker angebracht, an dem wir morgens regelmäßig vorbeikommen, das Schild kündigte Arbeiten an, „travaux“, und enthielt eine kompliziert aussehende Liste von geheimnisvollen Angaben und Kürzeln, die wir nicht entschlüsseln konnten. Lange hatte ich nichts Verheißungsvolleres gesehen, und in mir glomm ein unvernünftiger Funke Hoffnung auf. Vielleicht würde man das Monstrum doch beseitigen? Vielleicht hatten sich Mittel und die Möglichkeit gefunden, wenigstens dieses eine kleine Blockhäuschen zu sprengen? Schon malte ich mir die Landschaft mit dieser herrlichen Lücke aus, mit freiem Blick über die von Blumen und Gras gesäumten Dünen, die wunderschönen Felsen und das offene Meer. Tagelang frohlockten wir.
Eines Morgens schließlich sahen wir bereits aus der Ferne einen kleinen weißen Wagen hinter dem Absperrband stehen, der verdächtig tuckerte und zischte, und ging von ihm etwa ein Schlauch Richtung Bunker? Unser Blick folgte dem Schlauch, an dessen Ende sich ein Mann befand, in seiner Hand ein gigantischer Hochdruckreiniger. Die „travaux“, mit denen er befasst war, betrafen – die Graffiti. Obwohl ich überhaupt keinen Sinn für Graffiti habe, war meine Enttäuschung ziemlich groß. Denn diese hier waren hübsch, zumindest im Vergleich zum Rest. Sie ließen den Betonklotz blumiger aussehen und kaschierten ein wenig den historischen und ästhetischen Grusel. Was es zu bedeuten hat, dass ein deutscher Bunker von der französischen Stadtreinigung geputzt und in den tristen, grauen Status quo ante versetzt wird, ich weiß es nicht. Hoffentlich nichts mit irgendwie tieferem Sinn.