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Bitte! Macht Scrabble neu!

Dass ich eine Anfälligkeit für digitale Spiele besitze, weiß ich seit meinem 31. Geburtstag. Aus Spaß schenkte mir mein damaliger Freund einen Gameboy, und es dauerte keine zwei Tage, bis ich alle Bücher zur Seite geschoben hatte und meine gesammelte Aufmerksamkeit einem Männchen ohne Beine schenkte, das Rayman hieß. Die Sucht passte nicht ganz in mein Selbstbild, aber wer lernt nicht gern Neues über sich? Auf Rayman folgten später bedenkliche Ausmaße annehmende Phasen von Tetris und zwei Spielen mit winzigen Vögeln, die so nervtötend waren, dass ich nachts von ihnen träumte. Umso dankbarer war ich, als ich Scrabble auf dem Smartphone entdeckte. Dieses Spiel hatte ich bereits geliebt, als ich gerade mal „Baum“ buchstabieren konnte und es für einen Coup hielt, wenn ich ein billiges E auf einem Feld mit dreifachem Buchstabenwert platzieren konnte. (Die Geduld meiner Mutter kann gar nicht genug gewürdigt werden.) Die dazugehörige App war glorreich. Optisch angelehnt an das alte Brettspiel, war sie an Harmlosigkeit nicht zu überbieten, und dass mir selbst überlassen war, wie viele Partien ich gleichzeitig spielte und wann ich meinen nächsten Zug machte, bedeutete pure Entspannung. Und dann die namenlosen Zufallsgegner! Ein Traum. Mit 4582 kam es zu einer sich über viele Monate erstreckenden Dauerpartie, und wo sonst konnte man sich derart ungehindert und frei von Chatzwängen auf einen Inhalt konzentrieren? Scrabble, das war über viele Jahre mein Yoga. Doch kein Traum währt ewig, und da ich im Vorfeld Hinweise des Spielebetreibers geflissentlich ignoriert hatte, war es ein Schock, als die App am 5. Juni auf einmal nicht mehr funktionierte. Alle laufenden Partien, weg! 4582, verschwunden! Ich googelte und fand heraus, dass nicht nur ich verstört war. Die gesamte Scrabble-Gemeinde war in Aufruhr. Denn die neue digitale Version „Scrabble Go“ ist Schrott. Das wundervolle altmodische Racing Green-Grün wurde ausgetauscht gegen bunt flackernde Farben und Steinchen, die eher an Candy Crush erinnern; alles flimmert und blinkt, die App wirbt für In-App-Käufe, und der größte Killer ist: Sie funktioniert nicht richtig. Ich war frustriert. Wie sollte ich jetzt meine Zeit in Wartezimmern gestalten, mich nachts um vier wieder zum Einschlafen bringen, überhaupt mein rastloses Gehirn beruhigen?

Als kürzlich nun aus Amerika die Nachricht kam, dass im Zuge der aktuellen Rassismus-Debatte 226 Wörter von der Liste der spielbaren Begriffe gestrichen werden sollen – die Abstimmung über diese Wörter fand im Beirat der nordamerikanischen Gesellschaft der Scrabble-Spieler, kurz NASPA, statt und wird vom Spielehersteller Hasbro (aber bei Weitem nicht von allen Scrabble-Spielern) unterstützt –, wurde mir klar: Ein ganz neues Scrabble muss her. Mit alter Optik und neuer Wörterliste. Denn auch das deutsche Scrabble erlaubt eine Vielzahl von Begriffen, die aus einer Vielzahl von Gründen nicht (mehr) annehmbar sind. Und obwohl ich ausgerechnet bei diesem Spiel gegen seelenlose Nummern-Gegner von einem fragwürdigen Ehrgeiz geritten und entsprechend stolz auf meine Siegrate war (74%!), konnte ich bestimmte Wörter nie legen, selbst wenn diese mir mehr Punkte oder sogar Siege eingebracht hätten. Einige amerikanische Profispieler – darunter selbst schwarze Profispieler – halten dagegen, dass es beim Scrabble um Punkte, nicht aber um die Bedeutung von Wörtern gehe. Das stimmt. Und es stimmt nicht. Denn Wörter haben immer eine Wirkung, und ausgerechnet bei einem Spiel wie Scrabble starren wir nicht selten sehr viele Minuten auf ein- und dasselbe Wort. Hallo, 4582! Bist du da? Du siehst das doch sicher genauso? Also bitte. Macht Scrabble neu. Sorgt für eine Erneuerung, die uns Suchtis in ästhetischer wie politischer Hinsicht glücklich macht. Und gerne auch schnell.

> 26.07.2020