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„Kritik an kreativer Arbeit trifft immer ins Mark, weil die eigene Kreativität etwas sehr Persönliches ist.“

Tim Schröder, Wissenschaftsjournalist

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Ich habe mir sehr schnell sehr regelmäßige Arbeitszeiten angewöhnt. In der Regel arbeite ich von 9:00 bis 18:00 Uhr. Sehr beamtisch. Aber so habe ich Arbeit und Familie eigentlich immer ganz gut unter einen Hut gekriegt. Am Anfang meiner Selbständigkeit habe ich, wenn eilige Aufträge anstanden, noch früh am Samstagmorgen gearbeitet.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Abzüglich Mittagspause und kurzem Spaziergang rund acht Stunden, die aber nicht immer gleich produktiv sind. Wenn ich lange Geschichten schreibe, arbeite ich tatsächlich viele Stunden durch. An anderen Tagen liegen Alltagsdinge an. Da arbeite ich entsprechend weniger „produktiv“. Bei Texten mit hohem Anspruch schaffe ich vielleicht 8000 Anschläge am Tag. Bei Texten mit niedrigem Anspruch kann ich aber auch 14.000 liefern.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Ich habe es nie genau nachgerechnet. Wenn Aufträge anliegen, arbeite ich die ab. Wenn in Sachen Kreativität und Produktivität die Luft raus ist, schreibe ich Rechnungen oder lese Material für meine Recherche. Mir helfen meine To-do-Listen. Auf meinem Schreibtisch liegen ein Drei-Monatsplan, in dem längerfristige Termine und Deadlines stehen, und eine To-do-Liste, auf der ich die Sachen aufschreibe, die tages- oder wochenaktuell sind. Meine Zeitmanagement-Bibel war und ist „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“ von Lothar Seiwert.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Ich habe schnell gelernt, dass Wochenenden goldwert sind. Zum Erholen und auch als goldene Zeit mit meiner Frau und den Kindern. Die Wochenenden taste ich inzwischen nicht mehr an. Und spätestens nach 18:00 Uhr ist Freizeit bzw. Zeit für alles andere angesagt.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Die größte Gefahr besteht darin, dass man vergisst, für sich selbst zu sorgen. Freie Zeit muss rechtzeitig eingeplant werden – Urlaube, Erholungspausen. Man muss lernen, Termine mit sich selbst zu machen – und vor allem, diese auch einzuhalten. Auszeiten sind überlebenswichtig. Das habe ich gerade im vergangenen Jahr gemerkt. Ich hatte kaum Auszeiten geplant, und schwupps war das Jahr rum und ich habe im Grunde nur am Schreibtisch gesessen.
Ablenken lasse ich mich eigentlich kaum. Das ist der Vorteil an der Arbeit im eigenen, kleinen Büro. Es ist eher so, dass ich versuche, bewusst kleine Pausen einzubauen. Wenn nach einer Stunde der Kopf raucht, gehe ich manchmal zum Unkrautzupfen in den Garten, oder ich schnipple schon mal das Gemüse fürs Essen. Danach geht die Arbeit dann gut und ablenkungsfrei weiter.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Tagsüber schalte ich mein Handy aus. Kein Gebimmel von Signal oder WhatsApp. Ich bin dann nur über Festnetz oder E-Mail zu erreichen. E-Mails sind besonders gefährliche Ablenker. Ich versuche dem Impuls zu widerstehen, gleich zu antworten – vor allem wenn ich mich in meine Schreibarbeit versenken will. Es hilft, das E-Mail-Fenster zu deaktivieren, das immer aufpoppt, wenn eine E-Mail eintrifft. Natürlich sind auch Kinder wunderbare Ablenker. Wir alle mussten lernen, dass Papa nicht verfügbar ist, wenn die Tür zu ist. Das ging ganz gut. Die Kinder haben dann immer ganz vorsichtig durch den Türspalt geguckt, wenn sie mal etwas wollten. Andererseits habe ich, so oft es ging, Pausen gemacht, wenn die Kinder mal spielen wollten. 20 Minuten Toben im Garten macht die Kinder glücklich und den Kopf frei. Hinterher geht die Arbeit dann umso besser von der Hand. Das habe ich glücklicherweise rechtzeitig begriffen.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Absolute Stille gibt es nicht. Irgendwas ist immer – und sei es der Rasenmäher des Nachbarn. Zu Beginn meiner Selbständigkeit habe ich mich manchmal in den Garten gesetzt. Ich dachte mir, dass ich es wie Onkel Melker aus „Ferien auf Saltkrokan“ mache. Das sah immer so schön kreativ und freigeistig aus. Aber es lenkt mich ab, wenn mir Fliegen um den Kopf schwirren oder Ameisen über die Finger laufen. Am besten kann ich in meinem Büro schreiben. Ich brauche einen aufgeräumten Schreibtisch und ein aufgeräumtes Sichtfeld, um klar denken zu können.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Wenn ich das wüsste! Die meiste Zeit verbringe ich am Schreibtisch zu Hause. Es ist aber tatsächlich so, dass es nichts bringt, sich zu verkrampfen und drei Stunden an einem schönen Einstieg für eine Geschichte zu basteln, wenn es nicht geht. Ich muss mich dann auch heute noch dazu zwingen, den Text beiseite zu legen und es am nächsten Tag neu zu versuchen. Das ist hart, wenn mir eine Deadline im Nacken sitzt. Gerade wenn Geschichten besonders schön werden sollen, etwa bei mare, habe ich immer noch die Angst vorm weißen Blatt. Verrückt, oder? Es ist der hohe Anspruch an mich selbst, der die Inspiration manchmal geradezu lähmt, egal, wo ich sitze. An anderen Tagen läuft es. Ich setze mich hin und es fließt einfach. Manchmal hilft auch der Spaziergang um den Teich. Ich habe dabei schon ganze Absätze vor mich hin formuliert.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Ich denke, dass vieles von der Stimmung abhängt. An Tagen, an denen ich gut gestimmt und selbstbewusst bin, läuft es manchmal wie geschmiert. An Durchhänger-Tagen weiß ich manchmal vorher schon, dass es nichts wird – und quäle mich trotzdem. Für mich stellt sich weniger die Frage nach dem kreativen Flow, sondern eher nach der Qualität, die ich abliefere. „Irgendwie“ kreativ sein geht immer. Muss es auch, weil ich ja permanent Deadlines habe. Es ist eher die Frage, wie schön das Ergebnis wird. Den guten Standard kann ich immer liefern. Aber an einem Einstieg für eine mare-Story beiße ich mir manchmal die Zähne aus. Wie gesagt, manchmal hilft der Spaziergang um den Teich – vor allem wenn die Sonne scheint. Und manchmal merke ich schon nach den ersten drei Atemzügen an der frischen Luft, dass die Anspannung nachlässt.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Durchhängen. ;o) Tatsächlich ist es so, dass für mich als Kreativarbeiter Fehlschläge tiefer gehen und länger nachhallen als Erfolge. Kritik an kreativer Arbeit trifft immer ins Mark, weil die eigene Kreativität etwas sehr Persönliches ist.
Auf der anderen Seite musste ich lernen, Erfolge richtig „abzufeiern“. So blöd es klingt: Mir haben meine Journalistenpreise sehr gut getan. Sie bewahren mich davor, anders als früher ständig an meinen Fähigkeiten zu zweifeln. Sie sind meine persönliche TÜV-Plakette, mein Schulterklopfer, nach dem Motto „Du machst das schon gut, Schröder“. Erst in letzter Zeit ist mir klar geworden, dass ich als Einzelkämpfer im Einmannbüro noch mehr darauf achten muss, unter Menschen zu kommen. Ganz egal was – Einkauf bei OBI, ein Gespräch mit einem Handwerker oder den Nachbarn. Das erdet, wenn ich mich in dunklen Gedanken verlieren will.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Siehe oben: Journalistenpreis. Eine wirklich schlechte Auftragslage gibt es bei mir seit Jahren nicht mehr. In der Regel ist mein Kalender immer bis zu zwei Monate im Voraus gut gefüllt. Es kommt aber vor, dass ich mal zwei, drei Wochen weniger zu tun habe. Zum Beispiel zum Jahresanfang oder in der Sommerferienzeit. Ich werde dann immer unruhig, nach dem Motto „Oh Gott, hoffentlich wird alles gut.“ Bislang ist es immer fröhlich weitergegangen. Und in der Regel habe ich ein paar Tage später wieder eher zu viel zu tun. Tatsächlich habe ich just im Moment (Jahresanfang) weniger auf dem Zettel. Meist reicht es, die vielen Kollegen anzumailen und zu sagen: „Ich habe Kapazitäten frei.“ In der Regel habe ich dann im Handumdrehen wieder den Schreibtisch voll. Gegen schlechte Stimmung habe ich mir in meinem E-Mail-Programm einen Ordner mit dem Namen „Für graue Tage“ eingerichtet. Da schiebe ich immer Lobes-E-Mails rein, die ja manchmal eintrudeln. Wenn ich richtig durchhänge, „blättere“ ich darin herum.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Leider zu wenig. Da sorge ich nicht gut für mich. Wie oft wollte ich schon eine Flasche Sekt öffnen – und habe es dann doch nicht getan. Irgendwie gab es im Alltag immer wichtigere Sachen, als mich selbst zu feiern.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Großartig war das Existenzgründerseminar, das ich zu Beginn meiner Freiberuflichkeit machen musste. Das wurde vom Arbeitsamt angeboten und war obligatorisch, um gründen zu können. Vierzehn Tage zu den Themen Business-Plan, Selbstmanagement, Doppelte Buchführung, Gewinn- und Verlustrechnung und Versicherungen. Zusammen mit einem Haufen anderer Leute, die eine Arztpraxis aufmachen oder sich als Coach selbständig machen wollten. Ich habe damals gelernt, die Freiberuflichkeit als Business zu sehen. Als Firma. Das ist extrem wichtig, um finanziell über die Runden zu kommen. Außerdem habe ich zu Beginn meiner Selbständigkeit jedes Jahr ein oder zwei Fortbildungsseminare zu verschiedenen Themen besucht. Das hat geholfen. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich nichts Wesentliches mehr dazulerne und eher anderen Tipps geben kann. Meine Freien-Bibel, wie gesagt, „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“ und noch andere Bücher zum Thema Zeitmanagement.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Das ist lebenswichtig. Im kreativen Freiberufler mischen sich ja auf eigenartige Weise Kreativität, Freigeist, Talent, aber auch Eitelkeit, Narzissmus und Selbstzweifel. Anerkennung ist extrem wichtig. Wenn ein Chefredakteur zu dir sagt, „Tolle Geschichte“, dann stärkt das enorm. Ich muss gestehen: Einer der schönsten Abende meines Lebens war die Verleihung des Georg-von-Holtzbrinck-Preises. Ein Abend ganz für uns zwei Preisträger (Jan Lublinski – Radio, ich – Print) in ehrwürdigem Ambiente im Hotel de Rome in Berlin. Der Hammer. Das war Abfeiern in Vollendung. Ich war zehn Zentimeter größer. Anerkennung ist das Salz in der Suppe. Anerkennung gibt einem die Kraft, um dunkle, tiefe Täler durchschreiten zu können – die leider immer wieder mal vor einem liegen.

 

Wovor hast du Angst?
Dass ich mit meiner Freiberuflichkeit doch irgendwann scheitern könnte. Und das nach 23 Jahren. Dass sich die Lage für Journalisten weiter verschlechtert und kreative Leistung noch schlechter bezahlt wird. Schauen wir mal. 23 Jahre Freiberuflichkeit habe ich jetzt hinter mir. Bis zur Rente sind es noch 13.

 

 

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