„Wenn man frei arbeitet, besteht eine direkte Korrelation zwischen Kontostand und Stimmung. Das ist primitiv, aber wahr.“
Stefan Moster, Schriftsteller & Übersetzer
Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Normaler Arbeitstag heißt: Von morgens bis ca. 14 oder 15 (mindestens aber bis 13) Uhr keine anderen Verpflichtungen als die „eigentliche Hauptarbeit“ zu haben, also entweder die Arbeit an einer Buchübersetzung oder die Schreibarbeit an einem eigenen Manuskript. Also keine Telefonate, keine Termine, kein Kleinkram wie Buchhaltung oder dergl., keine Fahnenkorrekturen.
Ein idealer Arbeitstag ist einer, an dem auch nach der „eigentlichen Hauptarbeit“ nichts auf dem Programm steht. Vor allem in Phasen des Schreibens sind das wertvolle Tage, weil dann nachklingen kann, was ich geschrieben und überlegt habe, weil dann Raum ist für Gedanken, die schon zur Arbeit am nächsten Tag überleiten, aber auch weil dann die Chance zum Müßiggang besteht, zur Erholung und zum Kräftesammeln. Es ist nicht gut, immer nur erschöpft zu sein, wenn man in einer intensiven Schaffensphase steckt.
Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viele Seiten schreibst du im Idealfall oder Durchschnitt pro Tag?
Tatsächlich habe ich das in den nunmehr dreißig Jahren, in denen ich frei arbeite, nie gemessen und notiert. Ich kann nicht einmal einigermaßen zuverlässig raten. Ich denke eher in anderen Kategorien. Beim Übersetzen setze ich mir normalerweise ein Pensum. Ich rechne mir aus, wie viele Seiten des jeweils in Arbeit befindlichen Buches ich pro Tag übersetzen kann und will, und dann übersetze ich jeden Tag mindestens so viele Seiten, wenn es gut läuft vielleicht sogar ein bisschen mehr. Dieses Verfahren ist sinnvoll, weil ich dadurch immer genau weiß, wo ich bin und wie lange ich noch brauchen werde, so dass ich stets rechtzeitig zum (oder vor dem) vertraglich vereinbarten Abgabetermin fertig bin. Was wiederum für Ruhe sorgt und Terminstress vermeidet.
Beim Schreiben denke ich nicht an ein bestimmtes Pensum. Da ist mein Maßstab der, dass ich überhaupt etwas hinbekomme, was auch der zweiten Betrachtung standhält.
Beim Übersetzen bin ich streng mit mir, beim Schreiben gnädig. Wenn ich zwei Stunden lang intensiv und „tief“ geschrieben habe, kann das genügen, um für den betreffenden Tag zufrieden zu sein. An den anderen Tagen versuche ich, mich nach und nach in dieses „tiefe“ Schreiben hineinzubringen, indem ich bereits geschriebene Stellen verbessere, mir Rohtextstellen oder Szenenideen ansehe und ein bisschen daran herumfummle, bis irgendwann das „richtige“ (oder auch: „wahre“) Schreiben einsetzt. Das kann länger dauern, das kann durchaus – mit Unterbrechungen – den ganzen Tag in Anspruch nehmen.
Bei gelegentlichen Aufenthalten in Künstlerhäusern habe ich festgestellt, dass ich dort, wo es praktisch keine Alltagsverpflichtungen gibt und ich die meiste Zeit allein bin, auf die gleiche Art arbeite wie zu Hause, allerdings in der Regel nachmittags oder am Abend noch eine Arbeitseinheit hinzufüge und damit sehr zufrieden bin.
Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Auch hier kann ich keine exakten Angaben machen. Das Zeug muss halt erledigt werden, hilft ja nichts. Wichtig ist, dass nicht jeder Tag davon kontaminiert ist. Es muss Tage geben, die nur dem Eigentlichen vorbehalten sind. Da fällt es dann leichter, auch mal einen ganzen Tag nur Büro- und Steuersachen zu machen. Website habe ich keine, auf Social Media bin ich nicht aktiv. Das sind bewusste Entscheidungen, um große Zeit- und Energiefresser gar nicht erst in mein Leben zu lassen.
Recherchen wiederum möchte ich nicht gern von der eigentlichen Arbeit trennen. Das wäre mental ungünstig. Außerdem ist es schön, wenn die Schreib- oder Übersetzungsarbeit hin und wieder von dazugehörigen Nebenarbeiten aufgelockert wird. Recherche ist eigentlich fast immer interessant. Man sollte sie nicht ohne Not als Störung deklarieren, sondern eher dankbar sein, dass man nebenbei so viel dazulernt.
Mit Akquise sieht es anders aus. Die ist aufwendig und muss eigentlich ein ständig anhaltender Prozess mit wechselnder Intensität sein.
Bei mir betrifft sie eigentlich nur das Übersetzen. Seit vielen Jahren habe ich sie vernachlässigt, weil ich die Zeit lieber zum Schreiben verwendet habe, aber gelegentlich treten Situationen ein, in der sie wieder nötig wird, und dann merkt man, dass es mühsamer ist, wenn man zuvor lange nachlässig gewesen ist. Ideal wäre es, ganz ohne Akquise auszukommen.
Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Freie Tage sind wichtig, aber es müssen nicht unbedingt zwei hintereinander sein und sie müssen auch nicht auf Samstag und Sonntag fallen. Lebt man alleine, kann man sich vollkommen vom gewöhnlichen Wochenrhythmus lösen. Lebt man mit Kindern zusammen, ergibt es sich von selbst, dass die Werktage anders aussehen als die Wochenenden. Dann spielt es keine Rolle, was die Künstlerseele sich wünscht.
Auch hier finde ich, dass es am wenigsten produktiv ist, wenn man damit hadert. In den Zeiten des anspruchsvollsten Familienlebens (drei kleine Kinder) sagte ich mir: Fünf Arbeitstage die Woche jeweils von morgens bis nachmittags (bis die Kinder von Kindergarten und Schule kommen) sind gut. Da kannst du genug schaffen. Also darf das Wochenende getrost den Kindern gehören. Sollten trotzdem ein paar Stunden für dich abfallen, nimm sie dankbar an, aber vergiss nicht, dass es sich um einen Bonus handelt.
Arbeit, Kinder, Haushalt – dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass auch die Paarbeziehung, so man denn in einer lebt, Zeit, Aufmerksamkeit und Energie braucht. Es darf nicht passieren, dass man die mit dem Partner oder der Partnerin verbrachte Zeit als Verlust von Arbeitszeit betrachtet. Ich halte es auch nicht für sinnvoll, eine starre Rangordnung wichtiger und weniger wichtiger Tätigkeiten zu etablieren. Besser ist es, zu akzeptieren, dass es verschiedene Phasen mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Leben gibt, mit jeweils verschiedenen Anforderungen und Möglichkeiten.
In diesem Zusammenhang finde ich es wertvoll, wenn man das Dasein als freischaffende Person als Privileg verstehen kann, weil es einem ermöglicht, die Tage flexibler zu gestalten und z.B. nicht alles, was nicht mit Arbeit zu tun hat, nach 17 Uhr erledigen zu müssen.
Was aber ist Freizeit? Alles, was nicht Arbeit ist. Vom Spaziergang bis zum Kochen. Vom Putzen bis zum Vokabelabhören. Einerseits. Andererseits stimmt das nur zum Teil. Am ehesten ist es vielleicht doch Müßiggang. Die temporäre Abwesenheit von Verpflichtungen. Die Gelegenheit, Dinge zu tun, die nicht direkt nützlich sind (z.B. Musik hören oder machen).
Für mich besonders wichtig: lesen. Wenn die selbstbestimmte Lektüre (von Büchern, die ich mir selbst nach Lust und Laune aussuche, ohne sie zu irgendeinem Zweck lesen zu müssen) zu sehr eingeschränkt wird, geht es mir schon nach wenigen Tagen nicht mehr gut.
Freizeit ist vielleicht so etwas wie ein Derivat von Selbstbestimmtheit (oder wie die Illusion derselben).
Aus eigener Erfahrung, aber auch von vielen Kolleg:innen weiß ich, dass es zu den größten Herausforderungen des freien Schaffens gehört, sich frei zu nehmen und vielleicht sogar Urlaub zu machen, also wirklich und effektiv von der Arbeit abzuschalten. Ich würde sagen, dass es Teil der beruflichen Kompetenz sein muss, dafür zu sorgen, dass man genügend abschaltet, schon allein um die größte Gefährdung zu vermeiden: die Erschöpfung und die Erschöpfungsdepression.
Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Wie oben angedeutet, sehe ich die größte Gefahr darin, in eine Erschöpfungsdepression zu geraten, denn dann kann man seinen Beruf normalerweise für längere Zeit nicht mehr ausüben. Dem muss man also vorbeugen.
Aber zur Frage, wovon ich mich ablenken lasse:
Von Verantwortung, die ich für andere oder für Projekte übernehme. Davon, dass ich mich in den Dienst anderer und ihrer Vorhaben und Bedürfnisse stelle. Beruflich oder ehrenamtlich. (Auch das gehört zum Leben, aber es kommt darauf an, wie viel Raum es einnimmt.)
Von zu vielen Gedanken im Kopf, die nichts mit dem aktuellen Projekt zu tun haben.
Von Dingen, die ich mir zu sehr zu Herzen nehme. (Geschehnisse in der Welt, in der näheren Umgebung, in der Familie usw.)
Als Mensch, der schon als Kind immer zu viel Zeug und Lärm im Kopf hatte, sehne ich mich so lange ich denken kann nach Stille und Kontemplation. Irgendwie wird immer nur punktuell etwas daraus. Und vielleicht muss das auch so sein. Vielleicht sind alle Ablenkungen auch auf verschlungenen Pfaden befruchtend, weil sie ein Austausch mit der Welt sind.
Ansonsten stören die kleinen Ablenkungen, die man selbst zulässt. Wenn ich ernsthaft schreiben will, muss ich das Mailprogramm ausschalten und das Handy außer Hör- und Reichweite bringen.
Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Ich habe in den letzten Jahren nach und nach diverse Verpflichtungen und ehrenamtliche Tätigkeiten abgegeben. Insbesondere habe ich das Unterrichten fast ganz aufgegeben, weil das für mich Situationen von hoher Verantwortung und von intensiven sozialen Begegnungen sind, die mich entsprechend in Anspruch nehmen. Dadurch hat sich die dem Broterwerb dienende Arbeit reduziert, weshalb ich heute sehr viel weniger Umsatz mache als noch vor zehn Jahren, dafür aber mehr Zeit zum Schreiben habe und weniger abgelenkt bin.
Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Beim Schreiben brauche ich die Stille und Ungestörtheit (das Wissen, dass niemand das Arbeitszimmer betreten wird) vor allem zu Beginn eines Projekts. Und dann immer wieder an schwierigen Stellen, wenn es hakt oder komplex wird.
Ist ein Manuskript einmal in Gang gekommen, gibt es aber lange Phasen, in denen ich so gut wie in jeder Situation daran weiterarbeiten kann, auch wenn Menschen um mich herum sind.
Als hilfreich haben sich gelegentliche Ortswechsel erwiesen. In Hotelzimmern schreibt es sich erstaunlich gut. Auch in Künstlerhäusern o. ä. kann es klappen.
Einmal war ich fünf Monate in der Villa Concordia in Bamberg und zwar in der Zeit des Corona-Lockdowns, als sämtliche Lokale, Kinos, Theater, Konzertsäle geschlossen und soziale Situationen extrem eingeschränkt waren. Das erwies sich für das Schreiben als höchst produktiv. Und ich merke immer noch, dass ich oft an diese Zeit mit (einer gewissen perversen) Wonne zurückdenke. Könnte also durchaus sein, dass ich in Wahrheit mehr Stille bräuchte, als ich mir zuzugestehen bereit bin.
Beim Übersetzen ist das alles halb so wichtig. Kommt natürlich auf den Text an, aber bei einem „normalen“ Buch kann ich so gut wie unter allen Umständen an der Übersetzung arbeiten.
Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Das Wichtigste und auch das Unvorhergesehene passiert am Schreibtisch im Arbeitszimmer. Durch die Arbeit unter den normalen Bedingungen kommt die Kreativität in Gang. Aber manchmal muss man raus. Oft verlasse ich den Arbeitsplatz, nur um über ein einziges Detail nachzudenken. In den meisten Fällen ist das Problem schon nach wenigen Schritten gelöst. – Auch hier meine ich v. a. das Schreiben. Beim Übersetzen gibt es das auch, aber seltener.
In den Phasen der intensiven Arbeit an einem Romanmanuskript kommen die Impulse außerdem von vielen Seiten. Aus der Lektüre von Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, aus Filmen, aus Gesprächen mit anderen, bei der Wahrnehmung des Lebens um mich herum. Es ist unmöglich, das genauer zu differenzieren. Aber entscheidend ist auffem Platz, also am Schreibtisch.
Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Über den Flow denke ich nicht nach, aber er kommt beim Schreiben durchaus. Wie oft, weiß ich nicht. Er kommt immer unverhofft und ist erst im Nachhinein als solcher erkennbar, wenn ich merke, wie viel Zeit auf einmal vergangen ist. Hervorgerufen wird er immer und ausschließlich durch die Konzentration auf das in Arbeit befindliche Manuskript. Man kann nicht auf den Flow warten und sich dann ans Werk machen. Man muss sich ans Werk machen, ohne mit dem Flow auch nur zu rechnen, dann hat man Chancen, gelegentlich von ihm ereilt zu werden.
Übrigens könnte es sogar sein, dass er ein wenig überschätzt wird. Mir ist aufgefallen, dass die besten Stellen in meinen Romanen oft in Situationen entstanden sind, in denen ich mich entweder schwer tat und alles andere als im Flow war, oder die ich gewissermaßen nebenher und wie mit halber Aufmerksamkeit schrieb, weil ich nicht richtig in Fahrt kam, aber trotzdem beharrlich bleiben wollte.
Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Das sind mehrere Fragen in einer.
Beim Übersetzen gibt es das Phänomen nur in seltenen Fällen, also bei extremen Herausforderungen. Aber selbst dann muss man seinen Vertrag erfüllen und halt einfach machen und das Problem auf eine pragmatische Ebene heben (oder senken), also etwa Pause machen, laufen gehen, sich betrinken, oder eine Nummer kleiner: Textstellen laut lesen, mit Kolleg:innen darüber sprechen etc.
Wenn beim Schreiben nichts klappt, muss man sich Gedanken machen. Wenn bei einem Romanvorhaben nichts klappt, liegt es in den meisten Fällen daran, dass die Erzählperspektive nicht stimmt oder der Fokus falsch gewählt ist.
Dann muss man daran herumdenken. Alles in eine andere Perspektive übersetzen, gedanklich experimentieren. Das ist dann wieder eine Aktivität, bei der man zum aktiven Subjekt wird, was einem dann schon wieder weiterhelfen kann.
Wenn die Ideen ausbleiben, darf man nicht so tun, als blieben sie nicht aus. Nichts übers Knie brechen, sondern den Ideen eine Chance geben. Heißt: Pause machen. Und sei es für zwei Wochen. Hat man ein an sich stimmiges Projekt in Arbeit, kommen die Ideen wieder.
Was ich mir als belastend vorstelle, ist eine Situation, in der man mit einem neuen Manuskript beginnen könnte und möchte, aber keine Idee hat. Eine solche Situation habe ich noch nicht erlebt, aber ich ahne, dass sie eine große Herausforderung darstellen würde. In gewisser Weise präpariere ich mich dafür prophylaktisch, in dem ich mir z.B. sage, dass man fürs Schreiben eigentlich gar keine Ur-Idee braucht, sondern eigentlich über alles schreiben kann. Man muss nur irgendeinen Faden aufnehmen. Der Rest kommt dann schon.
Wenn der Erfolg ausbleibt: Hier kommt es darauf an, was Erfolg heißt. Ich glaube, dass man das ständig und immer wieder neu für sich definieren muss, sonst gehört man der Katz. Dabei sollte man ehrlich zu sich sein und sich nicht in die Tasche lügen. Das, was Erfolg ist, hat mit der eigenen Persönlichkeit zu tun und berührt tiefste Tiefen, auch wenn man das nicht glauben möchte.
Wenn Erfolg etwas mit der Rezeption der eigenen Arbeit, mit Reaktionen von Leser:innen, mit Kritiken an prominenter Stelle und mit Verkäufen zu tun hat, besteht das Tückische darin, dass man auf diese Aspekte keinen Einfluss nehmen kann, man ihnen also ausgeliefert ist.
Ich halte es für wichtig, das Ausbleiben von bestimmten gängigen Erfolgsmomenten nicht als Misserfolg für sich zu deuten. Ich meine damit Nominierungen, Auszeichnungen, Zeitungskritiken, Auftritte im großen Rahmen, hohe Verkaufszahlen.
Dies für wichtig zu halten, heißt aber nicht, dass man davon unabhängig wäre. Wenn ich auf einen Roman kaum öffentliche Resonanz bekomme, deprimiert mich das, ob ich es will oder nicht. Damit fertigzuwerden gehört zum Berufsbild. Die entscheidende Frage lautet immer: Habe ich das gemacht, was ich machen wollte? So lange ich diese Frage mit Ja beantworten kann, lässt sich alles irgendwie aushalten.
Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Da muss die Hilfe zum Teil aus anderen Lebensbereichen kommen. Und man muss sich dazu herablassen, unangenehme Dinge zu tun: sich um Aufträge bemühen usw.
Beim Finanziellen sollte man schon hellwach sein, bevor die Flaute da ist, und versuchen, vorzubeugen.
Wenn man frei arbeitet, besteht eine direkte Korrelation zwischen Kontostand und Stimmung. Das ist primitiv, aber wahr.
Kommt trotz ordentlichen Kontostands schlechte Stimmung auf, muss man herausfinden, wo sie herkommt, ob das Projekt, an dem man arbeitet, Unbehagen auslöst, z.B. weil es doch das falsche ist. Das muss man klären, und hier kann ein kleiner Tapetenwechsel helfen.
Das mit dem Selbstvertrauen so eine Sache. Ohne geht es nicht. Andererseits macht zu viel Selbstgewissheit blind für die eigenen Schwächen.
Als Mensch mit nur schwach ausgeprägtem Selbstwertgefühl muss ich besonders darauf achten, die eigenen Hervorbringungen immer auch mit professionellem Auge zu sehen. Ich habe gelernt, dass in meinen Augen jeden zweiten Tag alles schlecht ist, was ich geschrieben habe, aber eben nur jeden zweiten. Und genau das muss ich mir auch an den schlechten Tagen ins Bewusstsein rufen können.
Manchmal kann es helfen, einfach etwas zu lesen, das man schon mal geschrieben und veröffentlicht hat. Mit etwas Glück erkennt man dabei, dass man es irgendwie doch kann.
Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Das muss ich noch lernen. Habe aber bereits erste Fortschritte erzielt und mich auch schon mal symbolisch für eine exzeptionelle Arbeit belohnt.
Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Das mag überheblich klingen, aber ich nehme keinen Rat von anderen, auch nicht aus Büchern, in Anspruch. Was mir aber hilft, immer wieder und wohl auch immer mehr, sind nicht die Ratschläge, sondern die Beispiele anderer. Für mich ist etwa Peter Handke enorm wichtig. Nicht weil ich ein Fan seiner Bücher wäre (ich schätze viele davon, na klar, aber ich würde ihn nicht zu meinen „Lieblingsschriftstellern“ zählen), sondern weil ich sehe, dass er alles daransetzt, seinem Weg treu zu bleiben.
Ich freue mich an Künstler:innen mit ausgeprägtem Eigensinn und vermute, dass sie mir Mut auf meinem künstlerischen Weg machen, ohne dass ich konkret sagen könnte, wie.
Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Die beste Form der Anerkennung: Wenn jemandem das, was ich gemacht habe, etwas bedeutet. Also wenn Leser:innen zu mir kommen und sich für meine Bücher bedanken oder mir erzählen, wie eines von ihnen auf sie gewirkt hat. Das passiert tatsächlich und kompensiert z.B. das Ausbleiben von Rezensionen in überregionalen Zeitungen.
Wovor hast du Angst?
Davor, dass sich meine Bücher überhaupt nicht mehr verkaufen. Dass mich mein Verlag deswegen nicht mehr verlegt (und auch sonst kein Verlag).
Davor, dass ich nichts mehr hinkriege, das es wert wäre, veröffentlicht zu werden.
Davor, dass niemand mehr Bücher lesen will, die nicht wie Krimis oder Netflix-Serien aufgebaut sind.
Davor, dass ich einfach beim alten (weißen) Eisen lande.
Vor dem finanziellen Absturz bzw. davor, dass ich mich mit meiner Arbeit nicht mehr ernähren kann. Mit zunehmendem Alter nimmt das zu, weil die Chancen, auf einen Plan B ausweichen zu können, schrumpfen. Wenn man 60 ist, will einen keiner mehr, egal in welcher Branche. Außerdem stelle ich fest, dass ich bestimmte Übersetzungsaufträge nicht mehr bekomme, weil die zuständige junge Lektorin lieber mit einer jüngeren Kollegin zusammenarbeitet.
All das zeigt ein krasses Missverhältnis zwischen der freien künstlerischen Arbeit und den Ängsten. Letztere beziehen sich aufs Banale, wo Erstere doch das Gegenteil von Banalitäten hervorbringen sollte.
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