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„Ich liebe es, dass in meinem Beruf kein Tag ist wie der andere.“

Sophie Averkamp, Regisseurin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
In meinem Beruf sieht jeder Tag anders aus, weil ich jeweils ganz unterschiedliche Phasen durchlaufe: von der Planung und Akquise über die Vorbereitung und den Dreh bis hin zum Schnitt und zur endgültigen Fertigstellung.
Während der Vorbereitung beispielsweise bespreche ich mit der Kameraperson, wie die gesamte Geschichte visuell erzählt werden soll, und gehe mit ihr jede einzelne Szene durch. Dann gibt es natürlich Masken-, Kostüm-, Szenenbild-, Motivbesprechungen und Besichtigungen, mit anderen Worten: In diesen Phasen habe ich von morgens bis abends Termine mit allen beteiligten Gewerken, denen ich meine Vision vom Film vermittle – und deren Vorschläge für die Umsetzung ich dann abnehme. Hinzu kommen Drehplanbesprechungen für die Organisation der Drehtage.
Wenn ich gerade nicht konkret an einem Projekt arbeite, sehen meine Tage völlig anders aus. Dann bin ich mit neuen Ideen beschäftigt, mache mir Notizen, hole mir Input, indem ich ins Museum gehe oder viel lese, und verbinde mich mit Menschen, die schreiben oder produzieren, um herauszufinden, welche Ideen interessant genug sein könnten, um sie weiterzuverfolgen. In diesen Phasen versuche ich, mir selber einen Rhythmus und eine Struktur zu geben.
Unterm Strich heißt das, dass es eigentlich zwei normale bzw. ideale Arbeitstage gibt – je nachdem, ob ich fest in einem Projekt bin oder in einer Phase, in der es um das Entwickeln und Akquirieren neuer Projekte geht.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Das hängt sehr von der Projektphase ab, in der ich mich befinde. Wenn ich frei über meine Zeit verfügen kann, dann versuche ich meistens, von ca. 9:30 Uhr bis 18 oder 19 Uhr erreichbar zu sein und am Wochenende gar nicht, außer natürlich in dringenden Notfällen.
Während des Drehs allerdings habe ich eher 12- bis 14-Stunden-Tage (die zu jeder Tages- oder Nachtzeit beginnen können, je nach Tagesplan), da schau ich mir morgens noch mal die Szenen des Tages an, dann probe und drehe ich am Set, abends bereite ich den Drehtag nach und gucke mir Muster an (d.h. ich sichte das Material, das wir am Vortag gedreht haben). Dann bereite ich mich auf den nächsten Tag vor und geh schlafen.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Es ist viel Arbeit, mit allem hinterherzukommen, sei es die allgemeine Lebensorga oder Social Media, sei es die Website, die aktuell gehalten werden muss, oder das Beantworten von E-Mails. Ich verbringe täglich sicher zwei bis drei Stunden damit. Am besten gelingt mir das mit Hilfe von To-Do-Listen. In diesen Dingen strukturiert zu sein, ist natürlich nicht alles, aber es hilft sehr, um klarzukommen als Freischaffende.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Um den beruflichen Alltag zu schaffen, finde ich es extrem wichtig, Zeit für mich zu haben. Unter der Woche mache ich morgens nach dem Aufstehen Yoga und sorge dafür, dass die ersten anderthalb Stunden nur mir gehören. Da ist mein Handy aus, und ich mache wirklich nur mein Ding, um gewissermaßen mit mir selbst einzuchecken. Dass ich es geschafft habe, diese Routine zu entwickeln, darüber bin ich richtig froh. Das hilft mir sehr, klar und fokussiert zu bleiben, damit ich dann den Tag über nonstop Entscheidungen treffen kann.
Und am Wochenende versuche ich grundsätzlich, frei zu haben und möglichst andere Sachen zu machen.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Es ist wahnsinnig wichtig, darauf zu achten, mit wem man wie zusammenarbeitet – dass man eine gemeinsame Sprache hat und sich gegenseitig mit seinen künstlerischen Ideen überzeugen kann. Die größte Gefahr für das künstlerische Schaffen ist wahrscheinlich, wenn dieses Zusammenspiel nicht funktioniert. Wenn es aber klappt und ich wirklich in einem Projekt bin, kann mich kaum irgendwas ablenken, allein weil es genug Leute gibt, die mich von der Ablenkung abhalten.
Wenn ich hingegen von zu Hause arbeite, dann kommt es natürlich zwischendurch vor, dass ich anfange, die Wohnung zu putzen oder herumzuräumen und irgendetwas auszusortieren. Dann ist hinterher aber immerhin die Wohnung relativ sauber. Und ich hab meistens auch wieder einen freien Kopf.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Meine Arbeitsumgebung wechselt ständig. Zuletzt war ich sieben Monate in Köln, obwohl ich vor Kurzem erst nach Hamburg gezogen bin. Am Filmset bin ich sowieso täglich woanders, beim letzten Dreh beispielsweise waren wir in Bergisch Gladbach im Keller des Rathauses, das war unsere Geheimzentrale. Am nächsten Tag war ich im Wald. Und dann in einem alten Restaurant, das wir zu einer Gyrosbude umgebaut haben, und als Nächstes auf dem Hof eines Künstlers, in dessen Scheune wir gedreht haben.
Zwischendurch und im Anschluss sitze ich im Produktionsbüro bzw. am Schnittplatz, beides wird in der Regel von der Produktionsfirma gemietet und gestellt, und irgendwann später sitze ich mit den Musiker:innen im Tonstudio.
Es gibt wirklich keine Tage, die sich wiederholen, das ist toll und ich mag es total, aber umso wichtiger ist eine Struktur. Die anderthalb Stunden am Morgen sind deshalb wie ein Anker für mich.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Ich glaube, es hat viel mit Input zu tun – also wenn ich Zeit habe, mich mit Kunst, Fotografie, Film oder Literatur zu beschäftigen oder wenn ich im Café oder draußen andere Menschen beobachte und belausche, Gesprächsfetzen aufschnappe. Das sind alles große Inspirationsquellen, die kann ich dann später beim Realisieren eines Projekts wieder abrufen.
Wenn ich ein Projekt zu einem bestimmten Thema mache, hole ich mir oft auch konkrete Inspiration, indem ich schaue, was andere zu dem Thema gemacht oder welchen Blick sie darauf geworfen haben, d.h. ich hole mir vor allem visuelle Inspiration durch die Werke anderer.
Und natürlich ist auch der Austausch mit anderen Menschen wichtig, mit meinen Freund:innen zum Beispiel, besonders mit denen, die nicht beim Film sind. Sie erzählen mir von ganz anderen Alltagserlebnissen, Lebensentwürfen, Berufserfahrungen… Von deren Geschichten zehre ich sehr.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Ob ich in einen Flow komme oder nicht, hat extrem viel mit der Arbeitsatmosphäre und den Menschen zu tun, mit denen ich mich bei einem Projekt umgebe. Wenn ich mich frei fühlen und fallen lassen kann, wenn ich auch Ideen äußern kann, die vielleicht noch nicht ausgegoren sind, wenn es kein Richtig oder Falsch gibt und wenn Vertrauen herrscht, dann kann man sich leicht gegenseitig inspirieren und in einen kreativen Flow kommen. Aber ohne ein gutes, sicheres Umfeld geht es nicht.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Loslassen. Das mag jetzt ein bisschen altklug klingen, aber das Leben hat mich gelehrt, dass man oft erst mal loslassen muss. Es ist wahnsinnig schwer, und manchmal merkt man auch erst spät, dass es notwendig ist. Leider neige ich ein bisschen zum Festbeißen, und deshalb muss ich mich ständig wieder dran erinnern. Man kann ja vielleicht später auf die Idee zurückkommen, aber zuerst muss man sie ziehen lassen, so schwer es auch ist: If it doesn’t flow – let it go…

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Was ich schon in der Filmschule gelernt habe, ist, aus dem Vergleich zu gehen. Sich nicht zu vergleichen mit den Kolleginnen und Kollegen, sondern auf den eigenen Lebensweg zu schauen. Bei sich zu bleiben. Natürlich kratzt es am Selbstwertgefühl, wenn die Auftragslage schlecht ist oder ein Film schlechte Kritiken bekommt. Ich versuche immer wieder, mir selbst zu vertrauen und Kritik nicht persönlich zu nehmen. Aber das ist natürlich viel leichter gesagt als getan.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Feiern finde ich wichtig! Ob es ein schönes Essen ist oder ein Ausflug übers Wochenende oder einfach nur darauf anzustoßen, ist gar nicht so entscheidend – aber bewusst innezuhalten, sich darüber zu freuen, dass man etwas zum Abschluss gebracht hat, und das irgendwie zu feiern, das empfinde ich als ein bedeutsames Ritual.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
In Krisenzeiten finde ich es manchmal sehr hilfreich, gute Ratgeberliteratur zur Hand haben. Die darf gern auch mal spiritueller Natur sein, Jorge Bucay beispielsweise fand ich eine Zeitlang ganz toll. Und dann gibt es ein Buch, „Directing Actors“ von Judith Weston, das ist gewissermaßen meine Bibel für die Arbeit. Vorletztes Jahr ist „Die Kunst zu sein“ erschienen von dem Musikproduzenten Rick Rubin, es geht um die Frage, was es heißt, kreativ schaffend zu sein – ein extrem empowerndes Buch.
Außerdem hilft es mir sehr, mich mit Kolleg:innen auszutauschen und zu erfahren, wie sie mit neuen Aufgaben und Krisen umgehen. Ich habe an der HFF München studiert, und mit meiner Regieklasse treffe ich mich nach wie vor einmal im Jahr. Alle erzählen, was sie gerade beschäftigt, wir tauschen uns aus und geben uns gegenseitig Unterstützung.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Anerkennung bedeutet mir schon etwas. Die schönste Art der Anerkennung ist, wenn ich Gefühle in anderen ausgelöst habe durch die Geschichten, die ich erzähle. Und wenn ich merke, dass die Menschen beschäftigt sind mit dem, was sie sich angeschaut haben, und es in ihnen nachwirkt.

 

Wovor hast du Angst?
Da ich nicht selber schreibe, weiß ich nie, was ich als Nächstes für Geschichten bekomme, die ich erzählen darf. Und ob diese jeweils auch wichtig und dringlich genug sind, um sie in diese Gesellschaft zu droppen. Angst macht mir, dass Fernsehfilme zunehmend weichgespült werden und eine breite Masse zu erreichen versuchen – statt mit Haltung und bestimmten Werten für sich zu stehen. Das Reproduzieren von Klischees und Stereotypen bringt uns ja nicht weiter, im Gegenteil, wir brauchen echte Auseinandersetzung und müssen Vielfalt und Diversität abbilden. Allerdings würde ich auch kein Projekt zusagen, wenn ich das Gefühl hätte, dass meine Ansprüche in dieser Hinsicht überhaupt nicht erfüllt sind.
Ich würde dann noch künstlerischer und freier tätig sein und mehr danach schauen, was ich Eigenes machen und umsetzen kann, in welcher Form auch immer, um diesen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen. Und es wird hoffentlich immer Kunstschaffende geben, egal in welcher Position, die da ähnlich aufmerksam sind und wissen, dass man bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen etwas entgegenhalten muss.

 

Gibt es Dinge, die du bereust oder gern früher gewusst hättest? Was würdest du anders machen, wenn du am Anfang deiner Laufbahn stündest?
Das ist schwer zu sagen. Das Leben ist doch irgendwie ein Weg, den man geht, indem man lernt, und ich mag diese Idee des Immer-weiter-Dazulernens. Ich glaube nicht, dass ich etwas bereue. Ich glaube, man muss einfach offen sein für den eigenen Lebensweg, auch wenn dazugehört, ihn immer mal wieder zu hinterfragen.

 

Hat sich die Selbständigkeit ergeben, war sie notwendig oder gewollt und angestrebt? Was ist das Schöne daran, was das Schwierige?
Ich liebe es, selbstständig zu sein, weil es die beschriebene Abwechslung mit sich bringt und weil ich mich nicht in einem Korsett von festen Strukturen befinde (in dem ich, glaube ich, auch nicht gut aufgehoben wäre). Schwierig sind die schlechte Planbarkeit und die finanzielle Unsicherheit. Ich weiß ja nie, was als Nächstes kommt und ob ich damit finanziell über die Runden komme und wie es im Alter aussieht… Zumal dieser Job sehr fordernd ist, sowohl körperlich als auch geistig. Also wie lange kann ich ihn machen, und was gäbe es sonst noch für Möglichkeiten, um sich für später abzusichern? Andererseits wäre ich auch offen für andere Jobs. Sollte es also mit der Regie aus irgendwelchen Gründen einmal nicht mehr laufen, wäre ich offen dafür, etwas Neues zu lernen. Dieser Gedanke hilft mir.

 

Von wem würdest du gern die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?
Doris Dörrie, Mareike Fallwickl, Anne Hünseler

 

www.sophieaverkamp.de
@sophieaverkamp