„Wenn mal eine Zeichnung misslingt, muss ich sie eben noch mal machen. Und noch mal. Verzweifeln ist keine Lösung.“
Peter Gaymann, Cartoonist, Graphiker & Autor
Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? Hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
Bin kein Frühaufsteher (mehr). Ich erscheine im Atelier um 10 Uhr. Nach dem Frühstück plus SZ lesen. Meine Assistentin sitzt dann bereits eine Stunde vor dem Computer. Wir gehen gemeinsam die neuen Anfragen, Aufträge oder Verträge durch.
Danach beginnt für mich das Zeichnen oder Kolorieren. Telefonate werden möglichst nicht an mich weitergeleitet. Ungefähr um 14 Uhr Mittagessen mit meiner Frau zwei Stockwerke tiefer. Danach nochmal 2 Stunden Atelier. Je nach Wetterlage. Bei schönem Wetter geht’s in den Garten. Gartenarbeit ist meditativ und entspannt den Kopf. Manchmal kommen dabei sogar neue Ideen, die ich mir dann irgendwo notiere, also indem ich sie mit dem Rasenmäher in den Rasen mähe oder so was in der Art. Post muss natürlich auch weg und eine Runde spazieren durch den Wald ohne Hund. Alle anderen Spaziergänger sind mit Hund unterwegs.
Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Antwort liegt schon in Antwort 1 vor: Also ca. 6 Stunden am Zeichentisch. Es gibt Tage oder Wochen, da sammle ich Skizzen zu einem bestimmten Thema, meistens für Buchaufträge. Aber auch für Werbung. Oder Privataufträge. Dann gibt es Zeiten, in denen ich fast ausschließlich mit den Aquarellfarben koloriere.
Entwürfe schaffe ich etwa 5 bis 10 am Tag, einschließlich der Texte zu den Bildern. Es wird aber nicht jede Idee als Reinzeichnung umgesetzt. Nur die Guten kommen ins Töpfchen. Ich habe noch nicht eine Zeichnung digital angefertigt. Warum auch? Ich liebe es, auf schönen Papieren zu arbeiten, und die Originale werden gerne von und in Galerien ausgestellt und von Sammlern gekauft.
Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Die sogenannten Hintergrundarbeiten werden bei mir seit vielen Jahren von meiner Assistentin erledigt. Bis auf Instagram. Ich stelle fast täglich eine Zeichnung auf Insta und beantworte auch Fragen der Follower.
Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Freizeit und Wochenenden sind schon wichtig. Auch Reisen. Am Wochenende steht Hausarbeit an oder Radfahren, Shoppen, Besuche machen. Auch Freunde und Kollegen werden häufig am Wochenende zum gemeinsamen Essen und Quatschen eingeladen. Ist das Wetter ganz mies, dann verkrieche ich mich manchmal auch am Wochenende im Atelier. Mache dann endlich Dinge, die ich schon lange mal machen wollte.
Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Es gibt nichts Schlimmeres als 5 Minuten arbeiten, 5 Minuten telefonieren, 5 Minuten arbeiten etc. Besprechungen, Zoomkonferenzen, Atelierbesucher… lenken schon ab. Oder sagen wir so: Ich habe dann das Gefühl, mir klaut einer meine Zeit.
Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Dann hilft schon mal ein lautes ICH WILL DIE NÄCHSTEN ZWEI STUNDEN NICHT GESTÖRT WERDEN. Na bitte. Geht.
Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Ich arbeite am liebsten in meinem Atelier. 100 qm ehemaliger Dachboden, voll mit Zeichenschränken (ca. 20 000 Blätter), Bilderrahmen, Objekte, viele Bücher von mir und den Kollegen, Skizzenbücher und Notizzettel und Fotos. Meine Welt eben.
Musik höre ich keine. Ich habe es am liebsten, wenn alles still ist, stört mich aber auch nicht, wenn am Nachbartisch meine Mitarbeiterin arbeitet und hin und wieder telefoniert. Jeder erledigt halt seinen Kram.
Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Wie gerade beschrieben, im Atelier. Zu 80 Prozent. Der Rest im Bett, im Auto, im ICE, beim Zeitunglesen oder auf Reisen. Auf Reisen zeichne ich täglich Motive nach der Natur. Urban Sketching und so.
Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Kann man nicht beantworten. Mal kommt er, der Flow, mal nicht. Merkt man meistens erst, wenn er da ist.
Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Wenn mir nichts einfällt, warte ich. Dauert meist nicht lange. Längere Blockaden (Tage, Monate…) hatte ich noch nie in fünfzig Jahren. Zum Glück. Wenn mal eine Sperre im Kopf ist, fange ich an, Schubladen aufzuräumen, Bilder auszusuchen für die nächste Ausstellung, oder ich rufe einen Freund an, den ich lange nicht gesprochen habe.
Wenn mal eine Zeichnung misslingt, muss ich sie eben noch mal machen. Und noch mal. Verzweifeln ist keine Lösung.
Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Kommt nicht oft vor. Aber dann ist man halt mal sauer, ärgert sich noch mehr, wenn dann die Frau auch sauer ist. Endlich mal wieder ins Kino gehen oder einen Kumpel anrufen und sich abends treffen. Da erfährt man dann, dass es den anderen meist noch schlechter geht. Da steigt dann die Laune wieder.
Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Früher habe ich eine Belohnung gebraucht. Das hat sich aber längst erledigt. Ich freue mich, wenn etwas gut geklappt hat, erzähle es meiner Frau, meinen Kindern oder dem Nachbarn. Dann brauche ich mich nicht noch zusätzlich zu belohnen.
Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ich habe nie einen Mal- oder Zeichenkurs besucht. Oder eine Anleitung zum Zeichnen angeschaut. Aber ich habe gerade am Anfang meiner Laufbahn gerne Bücher von Vorbildern durchgeblättert und mich davon inspirieren und motivieren lassen. Ich habe mit Hilfe solcher Bücher viel gelernt und mir so die Motivation geholt, das auch zu können. Meine fertigen Arbeiten zeige ich meist erst meiner Frau. Sie ist eine gute Ratgeberin. Wenn sie mir rät, das Bild zu überdenken, weiß ich schon, dass es nix taugt. Sie hat fast immer recht.
Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Anerkennung ist schon wichtig für mich. Wenn meine Arbeit gelobt oder gemocht wird, schafft das eine Zufriedenheit in mir. Ohne Anerkennung kommen schnell Selbstzweifel. Die beste Anerkennung ist natürlich, wenn die Betrachter meiner Bilder lachen oder schmunzeln. Dafür hat man sie ja gemacht.
Anerkennung ist auch, wenn ich meine Bilder in guten Galerien oder Museen ausstellen darf. Oder wenn sie in Magazinen veröffentlicht werden.
Wovor hast du Angst?
Dass irgendwann keiner mehr meine Arbeiten haben oder zeigen will. Dass man plötzlich out ist. Oder das Konto leer ist. Urängste der Freischaffenden. Noch läuft es sehr gut. Ich steuere auf die 75 zu und kann froh sein, dass es seit Jahrzehnten keinen Grund zur Angst gibt. Aber ganz ohne Angst lebt man nie. Sie treibt einen auch an, weiterzumachen, nicht einzuschlafen.
Gibt es Dinge, die du bereust oder gern früher gewusst hättest? Was würdest du anders machen, wenn du am Anfang deiner Laufbahn stündest?
Nein, ich bereue nichts. Höchstens wenn ich mal jemanden beleidigt oder vor den Kopf gestoßen habe. Ich glaube, ich würde nichts anders machen. Man muss einfach zeichnen, zeichnen, üben, üben. Egal ob am Anfang oder am Ende der Laufbahn. Man muss seine Sachen zeigen, auch wenn da die Angst vor Zurückweisung besteht.
Vielleicht würde ich mich heute heute schneller trauen, Kollegen anzurufen, um mich mit ihnen auszutauschen oder zu vernetzen. Da war ich früher eher zu schüchtern.
Hat sich die Selbständigkeit ergeben, war sie notwendig oder gewollt und angestrebt? Was ist das Schöne daran, was das Schwierige?
Ich wollte die Selbständigkeit von Anfang an. Hatte auch keine Angst davor. Das Wichtigste war, dass ich keinen Chef über mir habe. Oder einen Lehrer, der Noten verteilt. Ich wollte so arbeiten wie meine Vorbilder (Ungerer, Sempé, Janosch, Wächter…). Ich wollte Bücher mit Cartoons machen, Postkarten und Kalender. Ob ich davon würde leben können, wusste ich anfangs natürlich nicht. Hatte aber keine Angst. Ich komme auch mit wenig zurecht. Angst hatten immer die anderen. Meine Eltern, Geschwister und auch viele Freunde. Der Erfolg kam ja auch nicht von heute auf morgen. Es fühlte sich aber zu keinem Zeitpunkt so an, dass ich aufgeben wollte oder sollte.
Von wem würdest du gern die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?
Von meiner Tochter Saskia, die seit vielen Jahren ebenfalls zeichnet und viele Bilderbücher illustriert hat. Wir reden immer wieder über unsere Arbeit, aber es wäre schön, zu erfahren, wie sie die Fragen beantwortet, wenn der Vater nicht daneben sitzt.
Das Gleiche gilt für meinen Sohn Julian, der als selbständiger erfolgreicher Kameramann arbeitet.