Katja Scholtz Logo

„Für den Rausch braucht es schon die Begeisterung des Anfangs oder des Fertigwerdens.“

Nicole Seifert, Autorin & Übersetzerin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Vorausgesetzt, ich bin einen Tag in Ruhe zu Hause, ohne Reisen und ohne Online- oder sonstige Termine, was ich in Schreibphasen so oft wie möglich herzustellen versuche: Morgens brauche ich immer eine Weile, um geistig auf Touren zu kommen, deshalb fange ich immer mit etwas an, das weniger kreative Energie erfordert als das Schreiben: meist mit Übersetzen. Nach etwa anderthalb Stunden gehe ich dann zu meinem Schreibprojekt über, zu dem Buch, an dem ich schreibe, oder dem als nächstes fälligen Nachwort oder Artikel. Nach dem Mittagessen mache ich daran erstmal noch weiter, dann kommt der tote Punkt und ich muss Pause machen, mich hinlegen oder lesen. Am späteren Nachmittag habe ich dann manchmal nochmal eine richtig gute Schreibphase. Das viele Lesen für meine Schreibprojekte und das Prüfen als Herausgeberin mache ich abends, frühmorgens oder auch mal tagsüber, wenn die Energie für nichts anderes reicht.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)?
Wenn ich nur das Schreiben zähle, dann sind es wahrscheinlich drei Stunden, abgesehen von den Wochen (Monaten…) vor der Abgabe, in denen ich nur noch schreibe und alles andere liegen bleibt. Wenn ich alles, was eigentlich zur Arbeit gehört (lesen!) dazu zähle, dann … arbeite ich eigentlich den ganzen Tag? Da ich ja Sachbücher schreibe, hängt die Seitenanzahl pro Tag extrem davon ab, ob ich gerade Recherche verarbeite oder versuche, Schlüsse zu ziehen und auf den Punkt zu bringen. Ich war schon mit zwei Seiten zufrieden, ich hab aber auch schon acht geschafft.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Reisen buchen, Absprachen per Mail, Rechnungen schreiben, Social Media – das sind Dinge, die ich wirklich gern vermeiden würde, in Stunden zu beziffern. Fakt ist wohl, ich trenne überhaupt nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Die Balance halte ich inzwischen (nach jahrelanger Übung, nach Überarbeitung, Depression und Therapie), indem ich radikal darauf achte, das zu machen, worauf ich Lust habe. Damit meine ich nicht nur: möglichst keine Aufträge nur anderen zuliebe annehmen. Sondern auch: In jedem Moment das machen, worauf ich am meisten Lust habe (von dem, was ich machen muss). Wenn die Energie zum Schreiben reicht, dann wird geschrieben. Wenn ich gerade Lust auf etwas habe, das erst später fällig ist, mache ich das trotzdem. Bisher ist das zeitlich noch immer aufgegangen, ich plane aber auch mit Puffer und versuche mich nicht mehr zu übernehmen. Und ich bin generell gerade in der bisher schönsten Phase meines Berufslebens, in der es gut läuft und ich mir die Aufträge und Projekte ein bisschen aussuchen kann. So war es natürlich nicht immer.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Da mein Mann auch selbständig ist und zu Hause arbeitet, haben wir einen ziemlich festen Rhythmus. Wir essen zusammen und haben abends und an den Wochenenden frei. Wobei an den meisten Wochenenden dann doch mal einer oder beide für wenige Stunden an den Schreibtisch gehen… Und das Lesen auf dem Sofa ist ja meistens auch für die Arbeit, also ist das alles relativ. Sobald ich allein bin, arbeite ich meistens leider nur noch, deshalb bin ich für diese gemeinsame Grundstruktur sehr dankbar. Früher war die ungestörte Arbeitszeit dadurch definiert, wann meine Tochter im Kindergarten oder in der Schule war und wann sie ins Bett gegangen ist.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Der Alltag, die Türklingel, notwendige Termine. Früher hätte ich auch Handy, Internet, Haushalt gesagt, aber mittlerweile macht meine Arbeit mir großen Spaß und geht mir vor allem auch leichter von der Hand, sodass diese Momente, in denen ich Ablenkung aktiv suche, weniger geworden sind.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Klingel aus, Handy aus, E-Mail-Programm aus. Allen in der Wohnung sagen, dass ich nicht gestört werden möchte. Was dann immer noch da ist: Die Nachbarn im Haus und in den Nachbarhäusern. Hilft nur noch Ohropax.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Stille und Ungestörtheit und unbegrenzte Zeit fände ich wunderbar. Was nah rankommt, sind Bibliotheken oder gemeinsames stilles Arbeiten in einem Büro, aber noch lieber bin ich allein. Meine vertraute Umgebung ist mir wichtig zum Arbeiten, auch dass meine Bücher in der Nähe sind (und das Bett und der Kühlschrank).

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Es ist beides essenziell. Dass die Pausen so wichtig sind, um wieder Raum im Kopf entstehen zu lassen, um nach- und vorzuarbeiten, wusste ich zwar theoretisch, letztlich musste ich es aber erst selbst erfahren. Dafür liebe ich Gartenarbeit und Spaziergänge mit dem Hund. Gerade in Phasen angespannten Schreibens ist aber auch der Austausch mit anderen wichtig, Inspiration durch alles Mögliche, durch Texte, Filme, Artikel, Podcasts, die eigentlich gar nichts mit der Arbeit zu tun haben und das Denken, die Zusammenhänge plötzlich doch bereichern.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
In einen Flow komme ich beim Schreiben durchaus regelmäßig, wenn ich erstmal drin bin in einem Text, etwas anderes ist der Rausch. Der ist seltener, dafür braucht es dann schon die Begeisterung des Anfangs oder des Fertigwerdens, den Moment, in dem sich Recherche und Gedankenstränge verbinden, der Moment, in dem ich sehe: Es geht auf, es ergibt ein Ganzes, etwas Neues, es wird gut…

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Inzwischen: aufhören, statt mich zu quälen. Es erstmal liegen lassen. Abstand bekommen und etwas anderes machen, eins von den weniger kreativen Projekten, die Fleißarbeiten.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Mich zurückziehen. Lesen. Serien gucken. Freund*innen treffen. Die Bread-and-Butter-Jobs machen (vorausgesetzt, die habe ich noch). Nur das schreiben, was ich will, was mir hilft, Tagebuch. Warten, dass es besser wird. Wurde es noch immer.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Ich belohne mich im Kleinen eigentlich regelmäßig, aber nicht extra und gebunden an Etappen- oder große Ziele – könnte ich eigentlich mal mehr machen.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ich vertraue in allen Lebenslagen auf Literatur, auf Sachbücher, Essays, Memoirs, auf die niedergeschriebenen Erfahrungen von Menschen, die Situationen und Herausforderungen schon gemeistert haben, auch in Ratgeberform. Was den Mut zum eigenen Weg angeht, waren es eigentlich immer wieder Tagebücher und Essays von Schriftstellerinnen, aber auch das Gespräch mit anderen Schreibenden.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Für mich ist die schönste Form der Anerkennung der Austausch mit anderen. Ich liebe es, mit klugen Menschen zusammenzusitzen und gemeinsam etwas weiterzudenken, meinetwegen auch gern auf dem Podium. Und Nachrichten von Leser*innen, denen meine Bücher etwas gegeben haben.

 

Wovor hast du Angst?
Nicht mehr lesen und schreiben zu können.

 

www.nachtundtag.blog
@nachtundtag.blog