„Manchmal singe ich Melodien oder Rhythmusbausteine beim Spazierengehen einfach in mein Handy. Wenn es dann aber richtig losgeht, brauche ich meine Studioumgebung.“
Natalie Hausmann, Filmmusik-Komponistin & Jazzmusikerin
Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? Hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
Wenn ich in Filmmusikproduktionen arbeite, bemühe ich mich um eine feste Struktur. Ab ca. 9 Uhr schaffe ich mir eine ungestörte Arbeitsatmosphäre. Morgens und ab dem späteren Nachmittag bin ich meist im energetisch optimalen Zustand. Manchmal aber auch spät abends, das hängt ganz vom Projekt und vom Flow ab. Mittags mache ich generell eine längere Pause. Am Ende von Projektphasen ist es auch mal so, dass ich von morgens bis abends durcharbeite. Da fällt dann schon mal der heilige Mittag sehr kurz aus oder einfach weg. Zwischendurch gibt es dann noch Meetings mit Regie, Produktionsfirma und Redaktion. Punkte wie Theatermusik, Konzerte, üben, Recherche und Bürokram werden dann so in die Woche mit eingearbeitet, dass es irgendwie passt.
In freieren Arbeitsphasen bin ich flexibler und nutze das dann auch aus. Wann was passiert, hängt neben festen Terminen durchaus auch von meiner Tagesstimmung ab. Ich habe gelernt, dass es sinnvoll ist, diese Stimmung zu respektieren, um effektiv zu arbeiten.
Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Früher habe ich ca. 3 bis 4 Stunden pro Tag meine Instrumente geübt, das war eine messbare Zahl. Heute als Komponistin arbeite ich zwischen 4 und 12 Stunden pro Tag, je nach Projektphase. An manchen Tagen kommen viele kleine Ideen heraus, an anderen mehrere musikalische Themen, die dann aber noch überarbeitet werden. Die darauf verwendeten Minuten habe ich noch nie gezählt. Manchmal komponiere und produziere ich die Musik gleichzeitig, dann läuft vieles parallel. Dann gibt es wiederum reine Recording- oder Mixing-Tage. Der endgültige Output ergibt sich, nachdem das Material in vielen Einzelschritten poliert wurde. Ein optimales Maß an täglich fertigem Material habe ich daher nicht.
Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Genau darüber verschaffe ich mir gerade einen genauen Überblick. Ich messe jetzt die Zeit für solche Tätigkeiten, damit ich den Aufwand besser einschätzen und mich sinnvoller strukturieren kann. Als selbständige Komponistin kommen ohnehin sehr viele Teilschritte zusammen. Ich unterschätze gerne den zeitlichen Aspekt und wundere mich dann, dass es schon wieder so spät ist, obwohl ich dieses und jenes auch noch erledigen muss. Die Zeit möglichst genau einzuschätzen, bedeutet bessere Planungsmöglichkeit, und auch wenn sich mein kreativ offener Jazzspirit lange dagegen gewehrt hat, sehe ich jetzt ganz klar die Notwendigkeit für eine planbare Ordnung. Wahrscheinlich werde ich über kurz oder lang auch Aufgaben auslagern müssen. Ich arbeite also gerade an genau dieser Balance.
Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Eine Zeitlang habe ich sehr viel gearbeitet und außer dem Studioraum und der Wohnung nicht wirklich viel gesehen. Es ist toll, wenn man viele Aufträge hat und die Arbeit Spaß macht – manchmal bin ich einfach so im Element, dass ich die Zeit komplett vergesse –, aber man sollte den Preis dafür im Auge behalten!
Regelmäßig freie Zeit zu haben und auf sich zu achten, ist notwendig, um Kraft zu tanken, zu sich zu kommen und um Abstand zum Projekt zu finden, damit man sich diesem wieder mit neuen Ideen nähern kann. Selbst in heißen Phasen sollte man auf sich hören, wenn man nicht mehr kann. Die Balance zwischen Arbeit und Freizeit ist für mich immens wichtig geworden! Die Zeit mit meinen Lieben zu haben, ist essenziell, Sport ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, und ich bin auch sehr gerne mal länger außer Landes.
Auch zwischendurch genieße ich freie Zeit, in der ich einfach nur sitzen und denken, reflektieren und verarbeiten kann, sehr.
Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Ich sehe das zwar nicht direkt als Gefahr an, aber ich lasse mich gerne von Wissen ablenken. Ich lerne gerne, und spannender neuer Input reizt mich einfach. Im besten Falle hilft mir das als Inspiration für mein jeweiliges aktuelles Projekt. Schwierig wird es, wenn ich die Zeit darüber vergesse oder sich dadurch neue Ideen für ganz andere Tätigkeitsfelder entwickeln, die dann länger meine Aufmerksamkeit fesseln. Dann muss ich mich wieder sehr aktiv fokussieren. Trotzdem bereue ich diese Ausflüge nie!
Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Die oben genannten Ablenkungen finde ich schön, weil sie mich sehr bereichern. Trotzdem verschaffe ich mir in wichtigen Komponierphasen Ruhe, um mich ganz in die Musik zu vertiefen. Dann schalte ich das Handy aus, gebe Social Media, Sachbüchern und Internet keinen Raum und E-Mails werden einmal am Tag gecheckt. Nur Feedbackrunden mit den Filmschaffenden dürfen dann noch mit in den Tag.
Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Musikalische Ideen können sich jederzeit finden. Manchmal singe ich Melodien oder Rhythmusbausteine auch einfach in mein Handy, wenn sie mir beim Spazierengehen im Park einfallen. Wenn es dann aber richtig losgeht, brauche ich natürlich meine Studioumgebung. Stille ist mir beim Komponieren sehr wichtig und die habe ich dort. Meistens…
Beim Üben ist die Umgebungslautstärke eher egal. Hier kann ich mich trotz hoher Dezibelzahl von außen gut konzentrieren. Ich bin noch aus Studienzeiten gestählt, da früher an der Hochschule alle um mich herum in ihren Übezimmern permanent laut gespielt haben.
Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Für mich ist der wichtigste Teil der Arbeit das Bündeln der Inspiration zum konkreten Musikstück sowie die Fertigstellung desselben, und das findet im Studio statt. Inspiration finde ich in jeglicher Form von Kunst, Theater, Film, Tanz, in Konzerten, in der Clubkultur oder beim Plattenhören. Gespräche mit anderen Kreativen sind auch immer großartig! Das müssen auch nicht unbedingt Musiker sein. Manchmal geht es einfach um den Austausch von Prinzipien oder kreativen Philosophien. Im alltäglichen Leben, auf der Straße, in der U-Bahn etc. gibt es ebenfalls genug inspirierende Momente, auch wenn es dabei eher um grundsätzliche Lebensdinge geht. Aber das fließt über Umwege dann auch manchmal zurück in meine Arbeit.
Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen
Sobald ich mit Musik anfange, komme ich schnell in einen Flow. Am einfachsten gelingt das, wenn ich wirklich wach bin. Ich liebe Kaffee!
Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Wenn ich in der Filmmusik gerade keine Ideen habe, komponiere ich trotzdem etwas, auch wenn ich das Gefühl habe, dass es die Richtung verfehlt oder dass es besser sein könnte. Wenn ich am nächsten Tag mit frischem Kopf wieder hinein höre, kann es noch gut werden, wenn ich die Parameter ändere. Vieles erst mal „anzusketchen“, egal wie es wird, ist für mich eine sehr effektive Methode. Nur wenn ich viel zu müde bin, gebe ich den Tag dafür auf und mache etwas Schönes. Manchmal bringt es einfach nichts.
Falls allgemein beruflich gerade nicht das passiert, was ich mir vorstelle, helfen Loslassen und ein Gin Tonic. Danach erforsche ich das „Warum“, um andere Wege zu finden.
Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Meine Familie und meine Freunde sind immer für mich da! Und ich hätte niemals gedacht, dass Kardio- und Krafttraining in einem geschlossenen Raum voller fremder sportelnder Menschen mich glücklich machen könnte… Tut es aber! Nach einer Sporteinheit bin ich klar und aufgeräumt. Ich spüre die neue Energie in meinem Körper, und das hilft mental absolut weiter.
Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Früher ist das Gefühl des Erfolgs an mir vorbeigegangen, auch wenn ich ihn rational gesehen habe. Heute freue ich mich, wenn ich ein Ziel erreicht habe. Das zu fühlen ist dann die Belohnung.
Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ich finde Ratgeber-Literatur und Lehrbücher sehr interessant! Noch interessanter ist es, mich mit anderen Menschen auszutauschen oder zu diskutieren, auch, wenn ich andere Standpunkte vertrete oder manche Lösungen für mich nicht so übernehmen möchte. Es ist immer spannend, eine andere Seite zu hören oder zu lesen.
Nur ungefragten Rat empfinde ich irgendwie als störend.
Mut für meinen künstlerischen Weg finde ich mehr beim Austausch mit meinen Kolleg*innen und befreundeten Musiker*innen, denn jeder von uns kennt diese Lebensphasen, in denen man alles in Frage stellt. Aus diesem Umfeld kommt immer starker Support und verlässliche Soforthilfe bei akuter Mut-Flaute.
Buchtipp für Jazz-Nerds: „Der professionelle Arrangeur“ vom großartigen Sammy Nestico.
Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Ich freue mich definitiv über Anerkennung. In der Zusammenarbeit mit Regiesseur*innen und Produktionsfirmen ist regelmäßiges Feedback ganz normal, und es ist wichtig, den richtigen Sound für ein Projekt zu finden. Wenn dann alle glücklich sind, und das wird in der Regel auch so formuliert, ist das super. Auch wenn mir Zuschauer*innen schreiben, dass sie meine Musik in einem Film oder einer Serie toll fanden, finde ich das großartig. Als Filmmusik-Komponistin arbeitet ich im Hintergrund, und mein Name erscheint kurz im Vor- oder Abspann. Wenn sich dann jemand die Mühe macht, mich anzuschreiben, empfinde ich das schon als eine besondere Wertschätzung. Auf der Bühne bekomme ich als Instrumentalistin dann die direkte Applaus-Dusche, und das ist natürlich auch schön.
Wovor hast du Angst?
Ich habe beschlossen, meinen Ängsten nicht mehr den Raum zu geben, den sie einnehmen wollten. Hat geklappt.