„Das Schreiben selbst ist nur der sichtbare Teil der Arbeit, wie ein Wal, der an die Oberfläche kommt, um zu atmen.“
Mathijs Deen, Schriftsteller
Liebe Katja,
ich habe deinen Fragebogen erhalten und mir die Fragen angesehen. Es fällt mir nicht leicht, sie zu beantworten. Mein Leben ist nicht sehr organisiert, ich kenne weder feste Zeiten noch feste Orte, an denen ich schreibe (obwohl die Corona-Krise das besser gemacht hat).
Das Schreiben selbst ist nur der sichtbare Teil der Arbeit, wie ein Wal, der an die Oberfläche kommt, um zu atmen. Wenn ich nicht schreibe und der Wal in die Tiefe ist, denke ich fast immer darüber nach, was ich schreiben will, oder ich schlage etwas darüber nach, oder ich rufe jemanden an oder schreibe jemandem eine E-Mail oder besuche jemanden, um eine Frage zu stellen, oder rede darüber mit Kim.
Klar: ein nicht zu warmer Tag, ein ruhiger, klarer Morgen, mit dem Hund spazieren gegangen, wieder zu Hause, Kim bei der Arbeit, und dann mit Kaffee der Gang ins Arbeitszimmer hinten im Garten, den Computer an, mein Vater schaut zufrieden von seinem Foto auf mich herab, und dann im Kopf irgendwo die Welt, in die ich eintreten will, und dann schreiben, Seite um Seite, und dann, wenn mir irgendwann die Worte ausgehen, zu merken, dass ein paar Stunden vergangen sind, ohne dass ich das echt gespürt habe, das ist ein idealer Tag. Dann war ich in Gedanken da, wo ich hinwollte, ich habe es aufgeschrieben und es ist mehr oder weniger so da, wie ich es wollte, das ist ideal.
Aber oft ist das Leben viel chaotischer als das.
Die Reisebücher habe ich unterwegs geschrieben. Morgens habe ich im Hotel geschrieben, bis ich auschecken musste, dann bin ich gefahren und habe mich umgesehen, Orte besucht, dann das neue Hotel gefunden und dort weitergeschrieben. Ich fuhr herum und sah die Landschaft oder die Städte entlang des Weges, dieselbe Umgebung, in der auch meine Geschichte spielte.
In diesem Sinne habe ich kein Wochenende, oder besser: es ist immer Wochenende.
Natürlich gibt es Dinge, die mich ablenken, wie Nachrichten auf meinem Telefon, einkaufen für das Abendessen, kochen, ein Sohn, der etwas fragt, oder ein Hund, der etwas fragt, aber es ist selten, dass ich dadurch in Schwierigkeiten gerate.
Wenn ich auf mein Handy schaue, dann meist, um etwas nachzuschlagen, das mit meiner Geschichte zu tun hat. Und diese Dinge lenken mich nur ab, wenn ich einen Moment lang nicht weiß, wie es weitergehen soll mit meiner Geschichte. Bin ich dann abgelenkt? Wenn ich weiß, was ich aufschreiben will, ist es schwer, mich abzulenken. Dann höre ich auch nicht so viel.
Das Einzige, was ich manchmal schwierig finde, ist, wenn ich einen Beitrag für das Radio machen muss. Dann werde ich manchmal böse. Aber wenn ich dann daran arbeite, packt es mich.
Ich stelle keine Anforderungen an meinen Arbeitsplatz, obwohl ich es mag, wenn auf der Arbeitsfläche nichts liegt, nur eine Tastatur. Ich räume einen Tisch oder einen Schreibtisch frei.
Ich schreibe unterwegs auf meinem iPad. Ich kann es einfach auf meinem Schoß haben oder auf einem ausklappbaren Tisch, wie jetzt im Zug zwischen Düsseldorf und Nürnberg. Wenn mir etwas in den Sinn kommt und ich es aufschreiben will, ist es egal, wo es passiert. So wie Kinder in Flugzeugen geboren werden, in Wartezimmern, am Straßenrand.
In solchen Momenten verliere ich mich in dem, was ich schreibe, und danach bin ich manchmal einige Augenblicke lang glücklich. Wenn ich etwas nicht geschrieben habe, obwohl ich es gerne getan hätte, bin ich unzufrieden.
Etwa einen Monat vor dem Abgabetermin für ein Buch schlägt die Disziplin zu. Dann mache ich eine Liste mit den Kapiteln, die ich noch schreiben muss, verteile sie auf die Tage und ziehe mich so weit wie möglich aus dem Leben der anderen zurück. Dann bleibe ich zum Beispiel auf Texel, während Kim zurück nach Amsterdam fährt.
Dann weiß ich, dass es klappen wird, und das Schreiben nimmt den Charakter einer normalen Arbeit an. Dann gibt es keine Wochenenden.
Aber die gab es ja auch sonst nicht.
Ja, ich habe auch Angst, Angst, dass es nicht klappen wird, dass ich es nicht mehr schaffe. Im letzten Monat, in dem ich ein Buch schreibe, verliere ich jedes Vertrauen, dass es gut wird. Nicht während ich schreibe, sondern wenn es fertig ist. Wenn ich schreibe, bin ich ganz woanders, niemand kann mich berühren, kein Rezensent, kein Kollege, kein Verleger, kein Lektor. Aber wenn es dann soweit ist und man die Welt verlassen muss, in der man eine Zeit lang mit seinen Figuren verbracht hat, mit diesem wehmütigen Gefühl des Abschieds, und das kalte Neonlicht der Realität angeht, fühlt man sich verletzlich wie ein Einsiedlerkrebs, der seinen Panzer verloren hat.
Zum Glück habe ich gute Verleger, die mich, solange ich schreibe, sehr loben.
Es ist alles ein bisschen kindisch.
Lieve Katja, ik hoop dat je hier wat mee kan.
Groetjes!
Mathijs