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„Altersarmut darf einen nicht schrecken, genauso wenig wie die Aussicht, möglicherweise nie in den Urlaub fahren zu können. Man braucht in der freien Kunst eine gewisse Genügsamkeit.“

Martina Hefter, Schriftstellerin & Performancekünstlerin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Ein normaler Arbeitstag sieht so aus, dass ich um 7:00 Uhr aufstehe und mich dann mit einer Kanne Tee an den Schreibtisch setze. Für ungefähr zwei Stunden, länger kann ich sowieso nicht schreiben, weil ich nicht gerne sitze. Idealerweise ist dann Tanztraining oder ich mache zu Hause Workout, nachmittags organisatorische Arbeiten, einkaufen und so weiter, abends noch mal tanzen oder andere Körperarbeit oder Fitnessstudio, später oft noch mal schreiben. Dieser Ablauf wird im Moment ganz schön durcheinandergewirbelt durch Lesereisen und so weiter. Aber ich versuche trotzdem, die Regelmäßigkeit aufrechtzuerhalten, so gut es geht.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Ich würde sagen, fünf Stunden am Tag, aber da ist auch das Tanztraining eingerechnet.
Wie viel dabei herauskommt, kann ich nicht sagen. Beim Schreiben kommt es immer darauf an, in welchem Stadium des Schreibprozesses ich mich befinde. Geht es an eine Abgabe, oder bin ich wirklich tief im Text, sitze ich schon mal länger am Schreibtisch, dann können auch mehrere Seiten pro Tag dabei herauskommen. Es gibt aber auch Tage, da schreibe ich nur drei Zeilen. Oder Tage, an denen ich gar nicht schreibe.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Derzeit ist es sehr viel mehr als sonst, etwa zwei Stunden täglich. Ich empfinde diese Arbeit aber nicht immer als belastend. In gewisser Weise gehört sie zu meiner künstlerischen Arbeit dazu. Allerdings finde ich bei Büroarbeit das Sitzen immer schlimm und versuche, es so weit wie möglich zu vermeiden. Zum Beispiel verfasse ich diese Antworten hier per Sprachassistent und räume nebenher mein Zimmer auf.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Nein, Wochenenden gibt es nicht. Freizeit so gesehen auch nicht, aber das ist überhaupt nichts, was ich vermisse. Ich habe Wochenenden eigentlich schon immer fast gehasst. Ich finde sie oft langweilig und leer. Ich langweile mich schnell, wenn ich nicht künstlerisch arbeiten kann. Und Freizeit – mit dem Begriff weiß ich nicht so viel anzufangen. Also zu Hause herumbummeln oder mich mit Freunden oder mit meinem Mann treffen, das gibt es natürlich schon und ist schön und wichtig. Aber so richtig Freizeit in Abgrenzung zur Arbeit gibt’s bei mir eher nicht. Ein bisschen arbeite ich immer – wenn ich spazieren gehe, denke ich oft über meine jeweils aktuellen Schreibvorhaben nach oder über allgemeine Themen, die für mich künstlerisch relevant sind. Oder wenn gerade eine Produktion ansteht, memoriere ich unterwegs im Kopf die Texte, die ich spreche.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Ablenken lasse ich mich von gar nichts. Das ist mein großes Glück, dass mich zum Beispiel solche Sachen wie Serien gucken oder in die Bar gehen noch nie sehr interessiert haben. Auch auf Social Media halte ich mich nicht so viel auf. Ich poste eigene Ankündigungen und so weiter, aber mehr nicht. Das ist ein bisschen unfair gegenüber den anderen, aber es würde meine Konzentration einfach zu sehr stören.
Gefährlich werden mir tatsächlich die organisatorischen Arbeiten, die gerade in der Performance ziemlich ausufernd sein können. Da musste ich lernen, Dinge auszulagern. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass ich pflegende Angehörige eines schwerbehinderten Menschen bin. Aber bisher habe ich das immer ganz gut in den Griff bekommen und hatte noch nicht das Gefühl, dass es mich sehr beschneidet.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Siehe oben. Ich glaube, ich brauche keine Strategien. Vielleicht die: Ich antworte zurzeit nicht immer gleich auf E-Mails.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Schreiben kann ich nahezu überall, obwohl ich es natürlich am liebsten zu Hause in meinem Zimmer und in einer gewissen Ruhe mache. Ich habe ja zwei Töchter, die sind erwachsen, aber früher war oft eine ganze Kinderschar um mich herum, wenn ich geschrieben habe, weil mein Computer im Wohnzimmer stand. Da kamen meine Töchter öfter mit ihren Freundinnen und Freunden, um dort zu spielen. Ich konnte mich immer gut davon abkoppeln.
Beim Tanzen und in der Performance brauche ich natürlich die geeigneten Strukturen, Tanzstudio, Theaterraum, die entsprechende Technik und so weiter, und Kolleginnen, mit denen ich mich wohl fühle. Und anders als beim Schreiben brauche ich vorher schon die finanzielle Absicherung, sprich eine Förder- oder Produktionszusage.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Beim Schreiben ist es unterschiedlich, da passiert viel Inspiration allein durchs Nachdenken, zum Beispiel auf dem Weg zum Einkaufen oder so. Das ist aber erst dann der Fall, wenn ich schon tiefer in einem Schreibprozess stecke. Vorher kommt die Inspiration eher aus dem Material, das bereits da ist, zum Teil auch aus anderen Texten, die ich gelesen habe oder lese. Ganz viel Inspiration, und verrückterweise vor allem fürs Schreiben, bekomme ich im Theater, wenn ich Stücke angucke. Selbst wenn ein Stück gar nichts mit meinem Schreibprojekt zu tun hat, gibt es immer irgendwelche Kleinigkeiten, die mich auf neue Ideen bringen. Da geht sofort die Denkmaschine in mir los, manchmal muss ich mich richtig zusammenreißen, dass ich dem Stück dann noch folge.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Meistens bin ich sofort in dem drin, was du Flow nennst. Ich muss eigentlich nichts dafür tun, beziehungsweise ich habe noch nie darüber nachgedacht. Vielleicht hilft es am ehesten, einfach loszulegen, mit Schreiben oder Performen.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Ideen bleiben bei mir nie aus, es gibt nur manchmal Phasen, in denen sie nicht so schnell kommen. Ich kenne das bei mir, und deshalb hat es mich noch nie aus der Fassung gebracht. Ich schreibe einfach immer so lange weiter, bis der Text sich wirklich mit einer guten Idee trägt. Dann habe ich oft viel Material, das ich gar nicht brauche oder das später doch noch nützlich ist.
In der Performance arbeite ich ja meistens mit anderen Leuten zusammen, da ergeben sich die Ideen allein schon durch das Zusammenspiel.
Und das mag sich jetzt sehr eingebildet anhören, aber bisher habe ich immer das erreicht, was ich mir vorgenommen habe. Was allerdings auch damit zu tun hat, dass ich mir nie sehr viel vornehme, sondern einfach erst mal mache. Und erst, wenn ich schon eine Weile dran sitze, wird es ein Vorhaben, von dem ich weiß, wohin ich damit will.
Was den Erfolg betrifft: Kommt drauf an, wie man den für sich definiert. Als ich Lyrik geschrieben habe, hatte ich keinen monetären Erfolg und nur ein kleiner Kreis hat meine Bücher gelesen. Trotzdem wurde ich wahrgenommen, bekam immer auch große Besprechungen, war mit drei Gedichtbänden in den Lyrik-Empfehlungen. Ich erhielt auch viele Einladungen zu Lesungen und Festivals. Das hat mich erfüllt. Meine Performances waren vor allem lokal bekannt, aber eigentlich hat mir das immer gereicht.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Ich bin mir nicht sicher, ob mein Selbstvertrauen dadurch angeschlagen wäre. Wenig Selbstvertrauen habe ich eher im Bereich der Performance, aber das hat weniger mit äußeren Faktoren zu tun, sondern mit meinen eigenen Ansprüchen. Ich frage mich immer wieder, ob meine Bühnenpräsenz gut genug ist, und vergleiche mich oft. Das versuche ich in den Griff zu bekommen, indem ich meine handwerklichen Skills verfeinere und vielfältiger mache. Manchmal aber auch dadurch, dass ich mir erlaube, das Risiko der Blamage einfach einzugehen – dass ich mich also nicht so zurücknehme auf der Bühne, aus Angst, etwas falsch zu machen, sondern in die Vollen gehe. Vielleicht könnte das auch beim Schreiben eine Strategie sein – bzw. da mache ich eigentlich schon so, ohne dass es mein Selbstvertrauen beeinträchtigt. Mutig sein ist das Zauberwort für beinahe alles in jeder Kunstform.
Aber sicherlich würde ich im Falle großer Verunsicherung zuerst auf die Qualität meiner Texte schauen. Ob sie jemanden erreichen können, und wenn nein, wieso nicht. Ich würde auf kritische Meinungen hören.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Nein, überhaupt nicht. Wenn ich ein Manuskript abgegeben habe, putze ich immer die Wohnung. Das ist fast schon ein Ritual und dann auch sehr notwendig.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ratgeberbücher lese ich absolut nie, so etwas interessiert mich gar nicht. Künstlerischen Mut bekomme ich eher dadurch, dass ich tolle literarische Bücher lese oder mir Kunstwerke anschaue, die stacheln mich oft an, weil ich dann immer denke: So was Tolles will ich auch machen. Auf den Rat anderer höre ich natürlich schon. Oft von Freund*innen und nahen Kolleg*innen, es kommt auf den Zusammenhang an. In literarischer Hinsicht höre ich natürlich auch auf den Rat meiner Lektorin oder meines Agenten.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Anerkennung generell bedeutet mir schon viel. Dann wird mir gezeigt, dass meine Arbeiten andere Leute erreichen. Das ist mir sehr wichtig. Ich weiß nicht, was die beste Form von Anerkennung wäre. Ich finde jede Anerkennung auf ihre Weise schön. Wenn es langen Applaus und sogar Gejohle nach einer Performance gibt, oder wenn sich Leute nach einer Lesung in eine lange Signierschlange stellen und mir dann oft sehr freudig liebe Worte zu meinem Roman sagen, finde ich das sehr schön, weil eine Form von Mitfreude mitschwingt. Meine Mutter mochte meinen Gedichtband „Ungeheuer” sehr gern, das war mein einziger Band, der nicht so viel beachtet wurde. Das hat mich sehr gefreut. Wenn meine Töchter meine Arbeiten mögen, das ist auch toll. Preise sind natürlich ebenfalls eine schöne Anerkennung, das will ich gar nicht leugnen. Schon allein wegen des finanziellen Aspektes.

 

Wovor hast du Angst?
Meinst du Angst in Bezug auf meine künstlerische Arbeit? Derzeit habe ich da sehr konkrete, gewissermaßen politische Ängste. Ich befürchte, dass unsere politische Landschaft bald so aussehen wird, dass Förderungen wegfallen. Dass Kolleg*innen hier nicht mehr arbeiten dürfen, weil sie zum Beispiel eine andere Hautfarbe haben. Angst auch, dass das politische Klima sich so verändert, dass ich bedrückt bin und sich das auf meine Arbeit auswirkt.

 

Gibt es Dinge, die du bereust oder gern früher gewusst hättest? Was würdest du anders machen, wenn du am Anfang deiner Laufbahn stündest?
Ob ich Dinge gerne früher gewusst hätte, kann ich nicht so richtig sagen. Als ich angefangen habe zu schreiben, hatte ich Respekt vor dem Literaturbetrieb in dem Sinne, dass ich ganz woanders herkam. Ich hatte lange in einem Fitnessstudio gearbeitet und Tanz und solche scheinbar profanen Dinge wie Rückengymnastik unterrichtet und von Literatur keine große Ahnung. Da habe ich mich oft eingeschüchtert gefühlt. Heute weiß ich, ich muss mich mit dem, was ich an Hintergrund mitbringe, überhaupt nicht schämen.

 

Hat sich die Selbständigkeit ergeben, war sie notwendig oder gewollt und angestrebt? Was ist das Schöne daran, was das Schwierige?
Ich glaube, sie war gewollt in dem Sinn, dass ich mir nie vorstellen konnte, einem „normalen“ Beruf nachzugehen, und wenn ich mal Versuche in diese Richtung gemacht habe, sind sie immer irgendwann gescheitert. Ich weiß, das muss man sich eventuell erst mal leisten können, aber ich konnte und wollte nie in einem festen Angestelltenverhältnis arbeiten. Betonung auch wirklich auf „konnte”. Dafür habe ich dann aber einiges in Kauf genommen: keine finanzielle Sicherheit.
Das Schöne am künstlerischen Arbeiten ist die große Freiheit und Gestaltungsmöglichkeit, die ich habe. Das Schwierige ist, dass diese Freiheit mit großen finanziellen Unsicherheiten verbunden ist. Deswegen gehen in die freie Kunst (damit meine ich alle Kunstsparten) auch wirklich nur Leute, die das aushalten können. Altersarmut darf einen nicht schrecken, genauso wenig wie die Aussicht, möglicherweise nie in den Urlaub fahren zu können. Man braucht eine gewisse Unerschrockenheit und Genügsamkeit.

 

Von wem würdest du gern die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?
Von meiner guten Freundin, Kollegin und Nachbarin, der Leipziger Performancekünstlerin  Angelika Waniek.

 

@martinasylviah