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„Ablenkung verstehe ich nicht als Gefahr, sondern als Voraussetzung für künstlerisches Schaffen.“

Martin Paas, Puppenspieler, Synchronsprecher, Autor

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? Hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
Meine Arbeitstage sind wegen meiner unterschiedlichen Tätigkeitsgebiete nicht miteinander zu vergleichen.
Bei meinen Tätigkeiten als Puppenspieler und Sprecher geht es sehr organisiert zu:
An einem Drehtag gehe ich morgens auf der Fahrt zum Studio die Szenen durch, die wir an dem Tag aufzeichnen. Wir drehen oft unchronologisch und verschiedene Szenen aus verschiedenen Büchern. Häufig spiele ich an einem Drehtag mehrere unterschiedliche Muppets, dann beschäftige ich mich vor dem Dreh auch noch mit der Charakterisierung der Figuren (insbesondere mit der Stimmfärbung). Dann folgt ein zumeist zehnstündiger Drehtag: Wir besprechen die Szenen mit der Regie, proben, zeichnen auf und arbeiten das Tagespensum ab. Diese Tage sind durch eine konzentrierte Routine gekennzeichnet.
Ähnlich ist es im Tonstudio. Ich erscheine zur vereinbarten Zeit und spreche all meine „Takes“ ein und gehe wieder nach Hause.
Beim Schreiben sehen meine Arbeitstage gänzlich anders aus. Hier muss ich selbst für Struktur sorgen und das gelingt mir seit Jahrzehnten mit nur sehr bescheidenem Erfolg, offenbar bin ich ein eher unstrukturierter Mensch. Die einzig wirklich funktionierende Regulierung ist bei mir der Abgabetermin. Die Zeit bis dahin nutze ich gnadenlos für die Arbeit… und für Ablenkungen jeglicher Art. Aber: Ich habe in 25 Jahren noch keinen Abgabetermin verpasst oder um Verlängerung bitten müssen, da habe ich dann doch Disziplin. Ich schreibe in meinen Produktionsphasen wortwörtlich zu jeder Tageszeit, sei es morgens um fünf Uhr oder tief in der Nacht, da mache ich keinen Unterschied. Entscheidend ist, den richtigen Moment zu nutzen, um in einen Workflow zu geraten. Dieser dauert manchmal über Stunden an, bisweilen ist aber auch schon nach ein paar Minuten wieder Schluss. Aber egal: In diesen Phasen bin ich produktiv! Und wenn der Abgabetermin näher rückt, entsteht natürlicher Druck, der diese Phasen komprimiert.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Seit ich in einem 120 Jahre alten Haus wohne, reduziert sich diese Zeit momentan auf die Stunden, die ich nicht mit Renovierungsarbeiten verbringe. Wenn es gut läuft, arbeite ich zwei bis vier Stunden am Tag produktiv, dabei entstehen drei bis fünf Seiten brauchbares Material.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Bei meinem aktuellen Projekt (wir sind Anfang 2025 mit der Sesamstraße in der Elbphilharmonie) höre ich viel Brahms und Strauss (Sohn), da verschwimmen aktuelle Recherche und allgemeines Interesse und man kann sich stundenlang verlieren… Pardon: recherchieren.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Freizeit ist für mich nicht an einen Wochentag gebunden und bedeutet Selbstbestimmung.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Ich lasse mich von allem um mich herum ablenken, verstehe das aber nie als Gefahr für künstlerisches Schaffen, sondern als Voraussetzung… So hält sich auch das schlechte Gewissen in Grenzen.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Eine Handvoll guter Songs und einen Kopfhörer. Musik sprengt alle anderen Ablenkungen und bringt mich ins Assoziieren, das ist für kreatives Schreiben gar nicht schlecht.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Auf Drehs sind das natürlich die Studios und im besten Fall umwerfend schöne Sets. Sprechen und Synchronisieren findet eher steril und abgeschirmt in Sprecherkabinen statt. Beim Schreiben bilden Laptop und Kopfhörer umgebungsunabhängig ein unnatürliches Habitat… im Idealfall während einer langen Zugfahrt. Über absolute Stille müsste ich wohl mit meinem Tinnitus verhandeln.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
„Das ist alles nur in meinem Kopf…“ *rumsing*.  Mich inspiriert ansonsten das wahre Leben „draußen“ deutlich mehr als das virtuelle.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Ich glaube, das habe ich weiter oben schon beantwortet… Guter Kaffee hilft auch.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Dann gehe ich in den Garten und schau mir Insekten an… Absolut faszinierend.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
All das zu relativieren und in Bezug zu den wirklich wichtigen Dingen im Leben zu setzen. Und die Erkenntnis, dass ich immer noch ein bestimmt sehr beliebter Bäckereifachverkäufer werden kann.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Ja.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ich mag Rat und Kritik von persönlicher, kompetenter Seite. Ratgeber-Literatur ist mir eher fremd, und Mut ist das falsche Wort, glaube ich, eher geht es um Inspiration! Aber die Frage nach den Büchern, die mir Mut gemacht haben, muss ich verneinen. Nachdem ich allerdings während meines Studiums mutig „Sein und Zeit“ gelesen hatte, war ich mir sicher, dass ich nicht länger als nötig in den Geisteswissenschaften verweilen und stattdessen den künstlerischen Weg einschlagen will.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Ich habe hunderte Texte fürs Fernsehen geschrieben, da bekommt man mangels Zielgruppenkontakt nur sehr selten Feedback (abgesehen von den Redaktionen und der Regie). Bei meinem letzten Elbphilharmonie-Projekt bekam ich jedoch bei jedem Auftritt das Feedback von 1200 Kindern, ein sehr ehrliches Publikum! Das war schon berührend zu erleben, was man so bewirken kann und ich freue mich auf unser nächstes Konzert.

 

Wovor hast du Angst?
Angst ist ein sehr schlechter Ratgeber, den ich erfolgreich umgehe.

 

 

www.martinpaas.de
@in_sta_man