Katja Scholtz Logo

„Stille ist so essenziell für mich zum Schreiben, dass ich mit meiner armen Familie in ein winziges Dorf ans Ende einer Sackgasse gezogen bin.“

Mareike Krügel, Schriftstellerin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Meinen idealen Arbeitstag hatte ich früher, bevor die Kinder kamen. Jetzt ist mein Leben getaktet durch Schulalltag, Kinder-Termine, gesundheitliche Einschränkungen und einen Hund. An meinem idealen Arbeitstag (ideal im Sinne von produktiv, befriedigend und mit meiner eigenen Leistungsfähigkeit vereinbar) schreibe ich in kurzen, intensiven Episoden, verteilt über den ganzen Tag. Die meiste Schreibtischzeit ist am Vormittag, am Nachmittag ist viel Nachdenk- und Planungszeit, es wechseln sich Sitz- und Bewegungsphasen ab.
Im derzeitigen Alltag schaffe ich am Nachmittag eigentlich gar nichts, was sichtbar mit Arbeit assoziiert wird, im Grunde arbeite ich in sehr reduzierter Teilzeit, während die Kinder in der Schule sind. Aus gesundheitlichen Gründen sind auch oft am Vormittag nur sehr wenige Portionen echtes Schreiben möglich.
In Phasen vor Abgabeterminen oder in Zeiten sehr intensiver Inspiration schreibe ich auch in den Lücken, die der Alltag lässt – beim Warten im Auto, während der Mittagsruhe, vor dem Aufstehen u.ä. Das sind die schönsten Phasen, weil sie meiner Art zu arbeiten am ehesten entsprechen. Sie laugen mich aber auch unverhältnismäßig aus, weil die Ruhezeiten fehlen.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)?
Das kann ich aus zwei Gründen nicht. Erstens ist es zu unterschiedlich, um einen Durchschnitt zu errechnen, der irgendeine Aussagekraft hätte. Und zweitens ist es mir peinlich, weil es so wenig ist.
(Ich bin seit ein paar Jahren gesundheitlich eingeschränkt, was leider auch meine Konzentrations- und Denkfähigkeit betrifft. Dadurch ist die Netto-Arbeitszeit auf eine frustrierend kleine Größe geschrumpft. Allerdings kann ich in einer Stunde sehr viel schaffen, wenn ich den „Flow“ finde. Ich gehe dann in eine Art Hyperkonzentration – die man keinesfalls unterbrechen darf, sonst werde ich sehr unleidlich – und bringe in extrem kurzer Zeit Gutes zustande.)

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Das kann ich in Stunden leider nicht angeben. An Bürokram ergeben sich hauptsächlich Rechnungen und Korrespondenz in Vor- und Nachbereitung von Lesungen. Bahnbuchungen und Organisation von Lesereisen. Steuer macht Gottseidank mein Mann. Social Media bediene ich gar nicht, auf Stipendien bewerbe ich mich ebenfalls nicht mehr, weil es kaum noch welche gibt, für die ich oder meine Arbeit in Frage kämen (das war in den ersten Berufsjahren anders, das war ein großer Zeitfresser). Alles in allem kommt da durchschnittlich vielleicht eine Stunde in der Woche zusammen – Lesereisen/Messen/Anfragen gibt es nur alle paar Jahre geballt, wenn ein Roman neu erscheint, dazwischen ist weitgehend „Ruhe“. Die Balance herzustellen ist also nur in den heißen Phasen ein Problem, das ich leider auch noch nicht gelöst habe. Tatsächlich schreibe ich rund um Lesereisen – unfreiwillig – quasi gar nicht.
Viel Zeit verwende ich allerdings für Recherche. Und fürs Planen, also für die Freiräume im Kopf, damit die Figuren sich entwickeln und die Geschichten-Stränge sich entfalten können. Letztlich nimmt das den größten Teil meiner Arbeitszeit ein, findet ebenso nachts wie beim Fensterputzen statt, ich bin sicher, würde man die Arbeit sichtbar machen können, die in meinem Gehirn abläuft, damit das Schreiben eines Romans überhaupt stattfinden kann, würde ich auf 14-Stunden-Tage kommen.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Durch den Schulalltag der Kinder gibt es inzwischen auch Wochenenden, an denen ich mich verpflichtet fühle, Familienzeit zu zelebrieren, und die ich natürlich auch genieße. Außerdem arbeite ich schlecht, wenn die Kinder im Haus sind. Wären sie nicht da, würden Wochenenden für mich keine Rolle spielen.
Freizeit ist die Zeit, in der ich keine äußeren Verpflichtungen beruflicher Art habe (Termine, Lesungen, Zusammenarbeit mit und Vorgaben vom Verlag). Ansonsten unterscheide ich nicht zwischen Arbeits- und Freizeit. Insofern habe ich habe auch kein Verlangen nach Freizeit, nur nach Zeit ohne Verpflichtungen, um in Ruhe an meinen Projekten weiterdenken zu können.
Urlaubsreisen sind Ortswechsel, in denen ich mir allerdings gelegentlich offiziell Schreibpausen verordne, damit Schreiben und Familienzeit nicht in Konflikt geraten. Sobald Jan und ich wieder ohne Kinder verreisen werden, werden es erneut nur Ortswechsel sein, denke ich.
Einmal die Woche gehe ich zum Hundesport. Dort bin ich für etwa eine Stunde so konzentriert auf den Hund, dass ich mich hinterher im Kopf erholt fühle.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
In meinem Fall ist die größte Gefahr meine Gesundheit. Ich habe seit 2020 mit Long-Covid-Symptomen zu tun, in unterschiedlicher Intensität und in Wellen, Gottseidank, aber seitdem gibt es Phasen, in denen ich keinen klaren Gedanken fassen, keine Konzentration herstellen oder einfach nicht formulieren kann. Wenn sich das ausweitet, weiß ich nicht, wie ich noch schreiben soll.
Ablenken lasse ich mich vor allem von der Anwesenheit von Menschen, weil es mir schier unmöglich ist, meine Antennen einzufahren und mich nicht verantwortlich zu fühlen. Sobald die Kinder im Haus sind, ganz egal, in welchem Raum, finde ich kaum in den nötigen Schreib-Flow. Wenn ich Besuch habe, brauche ich es gar nicht erst zu versuchen. Als die Kinder klein waren und nicht in Kindergarten oder Schule, haben Jan und ich die Verantwortung genau aufgeteilt, dann ging es einigermaßen.
Ein weiterer Faktor ist das Internet. Social Media und Nachrichtenportale kapern mich regelrecht. Ich lese aber nie online, ohne dass mein Gehirn die Informationen automatisch auf ihre literarische Verwertbarkeit hin scannt. In Zeiten, in denen ich intensiv an einem Roman plane, empfinde ich das Lesen buchstäblich aller Artikel und Posts als Inspirations- und Recherche-Gelegenheit.
Zu anderen Zeiten nehme ich das als Ausrede, um mich vor mühsamem Schreiben zu drücken – dann sage ich mir: Ich bin nicht abgelenkt, ich recherchiere.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Nein.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Stille ist so essenziell für mich zum Schreiben, dass ich mit meiner armen Familie in ein winziges Dorf ans Ende einer Sackgasse gezogen bin. Auch Lichtarmut ist gut (ich arbeite am besten in Herbst und Winter). Jede Art von Reizunterflutung hilft.
Wenn das gegeben ist, kann ich überall schreiben, dazu brauche ich keine besondere Umgebung. Ich schreibe auch mit der Hand, wenn gerade kein Laptop da ist.
Ich habe ein schönes Arbeitszimmerchen, in dem ich mich mit den Dingen umgeben kann, die mich inspirieren (Fotos, Zitate, Erinnerungsstücke). Da ich aus gesundheitlichen Gründen aber oft nicht lange aufrecht sitzen kann, arbeite ich seit einigen Jahren meistens im Bett.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Es ist eine Mischung aus Input und Gedankenflow. Ich muss sehr viel lesen, hören, sehen, und dann spazieren gehen, bis der Lärm der Alltags-Organisations-Gedanken sich gelegt hat. Dann kommen die Einfälle. Das geht auch beim Zugfahren gut und bei ruhigem Autofahren. Seit der Babyzeit der Kinder nutze ich auch die Zeiten, in denen ich nachts wachliege, um meinen Kopf in den Roman-Modus zu versetzen. Da kommen dann nicht immer die besten Ideen heraus (wenn ich sie morgens betrachte), aber es geht vorwärts.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Wenn ich weiß, was ich tue – wenn also ein Roman gut geplant ist, der Ton, die Perspektive, die Figuren etc. feststehen und ich eine Szene vor Augen habe, komme ich leicht in einen Schreibflow. Vorausgesetzt, es herrscht Ruhe außen und in mir.
Ich muss also unbedingt diese Ruhe herstellen. Es hilft mir, Listen zu schreiben, um nicht das Gefühl zu haben, gerade irgendeine Familienpflicht zu vernachlässigen (da steht dann auch Selbstverständliches drauf wie „Wäsche zusammenlegen“), manchmal meditiere ich, verordne mir Spaziergänge (siehe oben: gute Planung ist essenziell und findet immer außerhalb des Schreibzimmers statt).
Wenn das nicht hilft, überliste ich mich selbst, indem ich so tue, als würde ich für heute resignieren. Dann öffne ich die Romandatei, ohne die Internetseite zu schließen, auf der ich gerade einen Artikel lese, oder ich unterbreche eine Mail, die ich schreibe, und während meine innere Protestantin noch versucht, die nötige Disziplin einzufordern, schreibe ich bereits ein paar Absätze, um dann zum Artikel, zur Mail zurückzukehren, als wäre nichts gewesen.
Große Teile meiner Romane sind auf diese Art entstanden, und ich kann mich beim Durchlesen z.T. nicht erinnern, wann und wo ich sie geschrieben habe.
Ich klage dann Jan gegenüber auch gerne, dass ich überhaupt nicht arbeite und gar nicht vorankomme, und habe dann irgendwie trotzdem am Ende des Monats hundert Seiten geschafft.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Dann stürze ich in tiefe Verzweiflung und Selbstverachtung, verkünde, dass ich den Beruf an den Nagel hänge, überlege mir andere Jobs, für die ich geeignet wäre (und finde keine), lasse mir von Jan alle Erfolge aufzählen und bestelle mir Kleidung oder Kosmetik im Internet mit der Erwartung, dass sie mich zu einem neuen Menschen machen werden.
Tatsächlich bleiben meine Texte immer unter meinen eigenen Erwartungen und Ansprüchen, und ich habe noch keinen friedlichen Umgang damit gefunden.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Ich versuche mich an Selbstoptimierung. Ich kaufe zu enge Hosen, fange eine Ernährungsumstellung an, verordne mir Yoga, töne mir die Haare – und wenn ich dann merke, dass ich weder dünner noch spiritueller, jünger oder sonst wie besser werde, versumpfe ich mit Schokolade und Chips vor Netflix, bis irgendetwas mich da irgendwann wieder rausholt. Meistens ist es irgendeine literarisch verwertbare Idee, die mich zurückbringt zu dem Grundgefühl, das ich etwas erschaffen möchte, ganz egal, was sonst so los ist.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Früher, als das Geld knapp war, habe ich mir für 100 geschriebene Seiten ein Eis von Häagen Dazs geleistet. Heute verspreche ich mir manchmal irgendeine Anschaffung oder einen schönen Ausflug, Cafébesuch o.Ä. In letzter Zeit belohne ich mich auch für 50 Seiten. Es ist durch die Erkrankung alles so langsam und mühsam geworden… Die Belohnung ist aber kein Anreiz, schneller zu schreiben, sondern der Versuch, ein Zeichen der Anerkennung zu setzen, statt meine Leistung runterzuspielen. Es gibt ja keine Kolleg:innen, die mir auf die Schulter klopfen.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ich habe für Workshops, die ich selber geleitet habe, durchaus Ratgeber-Bücher gelesen, in denen aber wenig anderes stand als das, was ich im Studium gelernt oder durch aufmerksames Lesen bereits herausgefunden hatte.
Es gibt Romane, die mich immer wieder zum Schreiben treiben. Die in mir den Wunsch wecken, selber tätig zu werden, und die hole ich hervor, wenn ich keinen Antrieb finde oder Mut brauche. Gute Literatur weckt in mir den Wunsch zu schreiben und die Zuversicht, es zu können.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Leider bedeutet mir Anerkennung mehr, als ich es mir wünschen würde. Das Ideal ist ja, innerlich unabhängig zu sein, und es gelingt mir nicht immer, beim Schreiben nicht die Einwände gleich mitzudenken, oder umgekehrt, das, wofür ich gelobt wurde, nicht unbedingt wieder einbauen zu wollen.
Ich hoffe auch immer wieder darauf, dass meine Bücher für einen Preis nominiert werden. Ich bin als Leserin sozialisiert mit großen Vorbildern, und es schien mir immer einen vorgezeichneten Weg der offiziellen Anerkennung zu geben, den ein Teil von mir immer noch zu beschreiten hofft.
Immer mehr erkenne ich jedoch, dass mich diese Form der Anerkennung (und vor allem Aufmerksamkeit) ganz und gar nicht glücklich macht.
Wovon ich wirklich zehre, sind ehrliche Rückmeldungen von Leseeindrücken, die mir das Gelingen dessen bestätigen, was ich mir vorgenommen habe. Wenn z.B. mein Lektor sagt, ihm seien in Szene XY die Tränen gekommen, bin ich sehr zufrieden. Und wenn ein Lesungspublikum genau da lacht, wo ich es selber witzig finde, atme ich innerlich auf. Ich verstecke in meinen Romanen gerne Eastereggs, z.B. Zitate oder Anspielungen, und freue mich außerordentlich, wenn jemand sie entdeckt.
Werden die Texte anders gelesen, als ich sie gemeint habe, bin ich eher irritiert.

 

Wovor hast du Angst?
Davor, dass Jan meinen nächsten Text nicht großartig findet und mich daher nicht mehr aufrichtig aufbauen kann, wenn ich mal wieder durch das tiefe Tal der Selbstabwertung gehe.
Davor, meine Verlagsheimat zu verlieren, keine Bücher mehr zu verkaufen und in der Versenkung zu verschwinden. Ich wünsche mir, für den Rest meines Lebens weiter vom Schreiben leben zu können und niemals aufhören zu müssen.
Davor, dass sich meine Gesundheit noch weiter verschlechtert und auch das Schreiben unmöglich macht.

 

www.mareikekruegel.de
@kruegel.mareike