„Ich weiß, dass ich alles überleben kann. Jeden Fehler, jede gerissene Deadline, jede Kontopfändung, jede Kritik. Es ist nur Arbeit. Das ist viel, aber nicht alles.“
Mareice Kaiser, Autorin, Journalistin
Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
An meinem idealen Arbeitstag bin ich zwischen neun und halb zehn im Büro. Ich bin allein, während ich mir einen Kaffee mache und Musik im Hintergrund läuft. Die erste halbe Stunde beantworte ich Mails, ab zehn Uhr arbeite ich richtig. Was genau das bedeutet, weiß ich auch nicht. Ich kann nicht so gut allzu lange still sitzen, dann wird mir langweilig – selbst wenn ich etwas schreibe, was mich interessiert. Wenn ich wirklich um zehn Uhr anfange zu schreiben, will ich spätestens um 14 Uhr damit aufhören. Was gut passt, weil ich spätestens kurz nach 15 Uhr los muss (und möchte). Die Schule meines Kindes geht bis 16 Uhr und die Zeit danach ist für mein Kind reserviert. Manchmal schreibe ich abends noch mal Mails, aber Texte schreibe ich nur ganz kurz vor Deadlines abends. Wenn ich abends arbeite, sind das meistens Lesungen. An den Tagen mit Lesungen schreibe ich im Zug. Im Zug kann ich gut schreiben. Leider hat mir noch niemand eine BahnCard 100 geschenkt, sonst hätte ich vielleicht schon 100 Bücher geschrieben.
Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Ich habe keine Balance. Mein Arbeitsalltag besteht aus Schocks: OMG ich muss die Steuererklärung machen. OMG ich muss den Text abgeben. OMG die Rechnung wurde noch nicht überwiesen. OMG reicht das für die Miete. OMG ich muss meinen Koffer packen. OMG ich muss meinen Koffer auspacken. OMG ich verpasse gleich meinen Zug. OMG ich habe mein Buch für die Lesung vergessen. OMG ich muss die Mail noch beantworten. OMG ich muss das Video noch aufnehmen. OMG ich muss den Fragebogen für Freie noch beantworten. Mein Arbeitsalltag besteht aus OMG.
Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Ich liebe Wochenenden, vor allem Samstage. Manchmal komme ich da von Lesungen, manchmal bin ich einfach nur zu Hause und schlafe aus. Manchmal nehme ich samstags meinen Podcast REVOLUTION & FERIEN auf. Manchmal gehe ich auch samstags ins Büro. Meistens aber nicht. Sonntags arbeite ich eigentlich nie. (Während ich das schreibe, fällt mir auf, dass ich letzten Sonntag eine Lesung hatte, haha.) Vielleicht lässt sich festhalten, dass es bei mir weder ideale Arbeitstage noch „normale“ Wochenenden gibt. Und ich finde das sehr schön! Freizeit ist für mich Zeit, bei der ich nicht auf die Uhr schaue. Ich habe – zum Glück und nicht ganz selbstverständlich als Arbeiterkind – Faulsein irgendwann gelernt und kann es mittlerweile wirklich gut. Ohne faule Phasen würde ich das alles gar nicht schaffen.
Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Geldsorgen und Care-Arbeit und beides zusammen.
Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Ich habe Ablenkungen mittlerweile angenommen. Sie gehören zu mir, zu meinem Arbeitsprozess, zu meiner Ideenfindung. Ich komme von einer Sache auf die nächste und die übernächste und finde es okay, mich von der eigentlichen Sache, die ich mache, ablenken zu lassen. Denn am Ende profitiert diese Sache von den Ablenkungen. Und falls nicht, hatte ich trotzdem eine gute Zeit und hab was dazugelernt. (Meine Steuerberaterin sieht das vielleicht anders, aber die wurde hier ja nicht befragt.)
Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Ich brauche einen Ort, auf dem (gedanklich) „Arbeit“ steht. Seit vielen Jahren ist das mein Büro. Ein Gemeinschaftsbüro mit anderen Journalist*innen. Meine absolut liebste Arbeitsumgebung ist entweder ein Zug, in dem ich fahre, oder mein Büroplatz und eine Kollegin ist im Zimmer nebenan. Ich höre sie leise klicken oder vielleicht auch telefonieren, bin aber in meinem Raum allein. Ich kann den Raum verlassen und mit jemandem reden, aber auch im Raum bleiben und nicht reden. Das ist meine liebste Arbeitsumgebung. (In der Realität sitzen aber auch oft Leute mit mir in einem Raum, dann retten mich meine Noise-Cancelling-Kopfhörer. Die retten mich auch im Zug. Ich höre beim Schreiben immer Musik.)
Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Unter der Dusche. Die meisten Texte schreibe ich unter der Dusche. In meinem Kopf entsteht da sehr oft ein roter Faden oder eine Idee für einen Anfang oder ein Ende oder beides. Leider habe ich das alles dann oft wieder vergessen, wenn ich am Computer sitze. Na ja.
Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Musik hilft mir dabei. Am besten Haftbefehl.
Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Meine Erfahrung hilft mir. Ich habe schon alles erlebt, was man so erleben kann, wenn man mit dem Schreiben Geld verdient. Mir macht nichts mehr wirkliche Angst. Ich weiß, dass ich alles überleben kann. Jeden Fehler, jede gerissene Deadline, jede Kontopfändung, jede Kritik. Es ist nur Arbeit. Das ist viel, aber nicht alles.
Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Ich habe einen Lob-Ordner auf meinem Telefon, in dem ich liebe Nachrichten von Leser*innen speichere. Da schaue ich ab und zu rein, wenn mein Imposter mal wieder zu laut schreit. Und dann ist es gut, mein Kind und Freund*innen zu haben, für die ich mehr bin als eine Autorin.
Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Ich esse gern Pommes bei Curry 36. Auch als Belohnung. Aber auch einfach so, wenn ich mal nichts geschafft habe.
Wovor hast du Angst?
Vor Flügen und Brücken und Thriller (Plural von Thriller). Und davor, Thriller im Plural falsch zu schreiben. Sonst vor nichts.
Gibt es Dinge, die du bereust oder gern früher gewusst hättest? Was würdest du anders machen, wenn du am Anfang deiner Laufbahn stündest?
Ich bin pragmatisch: Statt darüber nachzudenken, was ich früher gern anders gemacht hätte, denke ich lieber darüber nach, was ich jetzt und in Zukunft anders machen möchte. Ich möchte zum Beispiel junge Autor*innen supporten, die keine reichen Eltern und kein Netzwerk haben. Auch, weil ich so einen Support nicht hatte. Ich möchte Talenten mit wenig Privilegien sagen: Du bist gut genug. Auch, weil das niemand zu mir gesagt hat. Und ich möchte weiter unbequem bleiben.
Hat sich die Selbständigkeit ergeben, war sie notwendig oder gewollt und angestrebt? Was ist das Schöne daran, was das Schwierige?
Ich hätte lieber einen bestimmten (hohen) Betrag am Ende jedes Monats auf meinem Konto. Unabhängig davon, wie viel ich gearbeitet habe, ob ich krank war usw. Diese Art von Sicherheit vermisse ich sehr, vor allem mit Verantwortung für ein Kind. Ich weiß aber auch, nach 20 Jahren in diesem Job, dass es keine Festanstellung gibt, die mich und meine Arbeitgeberin auf Dauer glücklich machen würde. In Festanstellungen fehlt mir immer etwas. Vermutlich das, was man „Freiheit“ nennt. Außerdem habe ich Probleme mit Hierarchien, das führt früher oder später immer zu Problemen – selbst wenn ich weit oben in der Hierarchie bin. (Denn ich finde die Hierarchie dann trotzdem doof.)
Von wem würdest du gern die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?
Hatice Açıkgöz und Lena Schätte und Luca Mael Milsch.