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„Das Jazzmusiker-Dasein ist einfach kein Beruf.“

Lorenz Hargassner, Saxophonist

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Das ändert sich gerade, weil ich meinen Arbeitsalltag komplett „rundumerneuere“. Das habe ich zum letzten Mal vor acht Jahren gemacht, insofern ist es ein großer Einschnitt. Vorher hatte ich meine festen Zeiten und konnte die Arbeitsfelder gut trennen. Momentan gelingt mir das nicht so gut, daran arbeite ich jetzt. Denn es ist für mich dringend notwendig, genau zu wissen, wann was dran ist (und was nicht!).

Bis vor Kurzem habe ich es so gehandhabt:
8.00 – 10.00 Sport und Selfcare, Journaling, Planung
10.00 – 12.00 Office Hours mit einer Stunde „One Thing“, einer Stunde E-Mails
12.00 – 14.00 Mittagspause, Spaziergang, Beziehungspflege, Kochen, Essen, etc.
14.00 – 21.00 Unterrichten, danach Feierabend ODER:
14.00 – 16.00 Üben, Musik machen, Komponieren, etc. (kreative Arbeit)
16.00 – 18.00 Zeit mit den Kindern, Abendessen machen
18.00 – 20.00 Abendritual mit Kindern, danach Gespräch mit meiner Frau

Das war so ein sehr schöner und sehr angenehmer Alltag, der funktioniert hat, wenn nichts dazwischenkam. Also keine Arzttermine, Tourneen, Einzelkonzerte, Workshops, Schülerverlegungen. Aber das System war ausgereizt und hat mich nirgendwo hingebracht nach einiger Zeit. Vor allem in den letzten Jahren hatte ich das Gefühl, ich stagniere, habe zu wenig Entwicklungspotenzial und kaum die Möglichkeit, frei zu denken.
Deswegen arbeite ich jetzt an einer neuen Business-Idee, mit der ich mein Knowhow und meine Fähigkeit zur Musikvermittlung auf eine skalierbare Art anbieten kann, die mir langfristig mehr Zeit für meine Kunst und meine kreative Arbeit bieten soll. Zurzeit ist aber das Gegenteil der Fall, da ich mitten im Prozess der Transformation stecke und noch nicht sagen kann, wo ich ankommen werde. Ich gehe davon aus, dass ich noch ein bis zwei Jahre brauche, bis ich in meinen neuen Rhythmus gefunden habe, der mir mehr Zeit verschafft, in der ich kreativ und vor allem künstlerisch arbeiten kann. Vielleicht geht es auch schneller, das hoffe ich. Aber ich bin bereit, so lange dran zu arbeiten, bis ich es habe, und erfahrungsgemäß kann so etwas länger dauern, als man denkt.

(Vielleicht noch eine Erläuterung zu meinem „One Thing“: Das habe ich aus dem Buch „The One Thing“ von Gary Keller und Jay Papasan. Darin wird ziemlich gut erläutert, warum es wichtig ist, sich bei seinen Zielen auf „eine Sache“ zu konzentrieren, die man sich vornimmt. So erarbeite ich jede Woche ein Thema, oder es ergibt sich automatisch eins, das mich antreibt. Das kann das Schreiben an unserem Songbook sein, das Organisieren einer Tournee für meine Band oder das Vorbereiten eines Workshops. Es gibt übergeordnete langfristige Ziele und kurzfristige, die manchmal mehr im Vordergrund sein müssen. Normalerweise arbeite ich jedoch an mittel- oder langfristigen Zielen, denn sonst komme ich vor lauter dringenden Dingen nicht dazu, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und mich weiterzuentwickeln.)

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)?
Ich bin in erster Linie mein eigener Manager. Meine Arbeit beläuft sich nicht auf das Schreiben, Malen, Üben. Es wäre schön, wenn es so wäre! In einer romantischen Sicht auf einen freiberuflichen Künstler ist das sicherlich so. Aber in meiner Branche, der Jazzmusik, kenne ich keinen, der das wirklich machen kann. Alle strugglen und versuchen sich irgendwie mit Jobs über Wasser zu halten, die ihnen ein bisschen Zeit für das lassen, was sie eigentlich machen wollen. Denn davon kann man nicht leben. Das Jazzmusiker-Dasein ist einfach kein Beruf. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber das sind entweder nur eine Handvoll Leute, die vom Feuilleton so groß geschrieben wurden, dass sie sich durch Förder-Etats, Jazzpreise und Festivalauftritte halbwegs halten können – oder es ist Till Brönner, der es als einziger deutscher Jazzmusiker geschafft hat, ein „Star“ zu werden und als Celebrity ein gewisses Standing in der Gesellschaft zu haben. Die meisten „professionellen“ Jazzmusiker (wenn man das so überhaupt nennen kann, zumindest nach der Ausbildung sind sie das) arbeiten hauptberuflich etwas anderes, im Idealfall ist das etwas Branchen-Nahes wie Unterrichten oder das Produzieren von Werbungsmusik. Manche haben Glück und bekommen eine der handverlesenen Stellen (sind es überhaupt 40, 50 in ganz Deutschland?) als Professoren an Musikhochschulen oder in den Radio-Bigbands. Aber das ist die Ausnahme. Und dann sind sie ja auch nicht mehr freiberuflich unterwegs! ;o)
Insofern: Die Freiberufler unter den Jazzmusikern arbeiten hauptberuflich etwas anderes, zum Geldverdienen (und das, was sie da verdienen, ist fast immer auch zu schlecht bezahlt, sodass sie nur prekär durchkommen) – und wenn sie daneben dann kurz Zeit haben,  organisieren sie, dass es etwas zu spielen gibt; sie sind ihre eigenen Manager, Logistiker, Tourplaner, Booking-Agenten, Label-Manager, Vertriebler und PR-Leute. Da bleibt eigentlich keine Zeit für das, worum es ihnen eigentlich ursprünglich gegangen ist. Und das genau ist das Problem.
In meinem „alten“ Zeitplan (siehe oben) habe ich mir von 14-16 Uhr Zeit für kreatives Arbeiten freigehalten. Am Mittwoch. Wenn nichts dazwischenkam.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Haha! Das ist gut! :o) Ich würde sagen, ich arbeite zu 99% an diesen sogenannten „Hintergrundarbeiten“ (da nehm ich mal das Geldverdienen durch Unterrichten hinzu).
In den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass ich die Musik eigentlich (was den Zeitaufwand betrifft) nur wie ein Hobby betreiben kann – wenn überhaupt. Viele meine Schülerinnen und Schüler können weit mehr Zeit in die Musik investieren als ich selbst. Deswegen habe ich mir das Unterrichten als Job gesucht – auf diese Weise kann ich mich mit dem, was mich interessiert, überhaupt beschäftigen. Und kann selber dazulernen, ich übe ja mit den Schülern, lerne von ihren Fragen, profitiere von der Zeit, die ich mit ihnen gemeinsam auf dem Instrument verbringen kann (was ich sonst nicht könnte). Meine einzige Chance, am Ball zu bleiben, ist, die Dinge, die mich selbst interessieren, im Unterricht zu thematisieren. Auf diese Weise bilde ich mich fort und kann selber kreativ arbeiten. Das ist eigentlich ein Kunstgriff – man könnte aber auch sagen: Selbstbetrug. Denn oft geht es nicht wirklich tief genug, eigentlich würde ich gerne andere Dinge üben, bearbeiten, schreiben, als ich kann. Deswegen versuche ich ja auch gerade, mir mehr Zeit zu verschaffen. Um überhaupt in ein Arbeiten reinzukommen, wie ich mir das vorgestellt habe, als ich mir diesen Weg ausgesucht habe.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Ich bin ja nicht nur Musiker, sondern auch Familienvater. Normalerweise bedeutet mir das Wochenende, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Im Augenblick komme ich um ein bis zwei durchgearbeitete Nächte pro Woche nicht herum, daher schlafe ich momentan sehr lange am Wochenende. Danach spiele ich Tennis, koche und esse ausgiebig und gut und mache etwas mit den Kindern – früher haben wir gerne und viel Brettspiele gespielt, heute gucken wir oft einen Film oder unterhalten uns einfach, über Beziehungen, Politik, Musik oder was die Kinder grade interessiert (sie sind jetzt Teenager). Allerdings gelingt mir das zurzeit fast nie – meistens muss ich die Wochenenden durcharbeiten. Das hat (so hoffe ich) vor allem mit meiner aktuellen Situation der Transformation zu tun.
Oft habe ich am Wochenende aber auch einen Workshop oder ein Konzert – dann bedeutet das für mich Reisen (auf denen ich arbeite) und eben das, was da passiert. Bei einem Workshop geht es ums Inhaltliche, aber auch um Menschenführung (manchmal komme ich mir vor wie ein Zirkusdompteur); alle wollen das Gefühl haben, etwas Schönes bekommen zu haben. Noten müssen vorbereitet und herumgeschickt werden, das Level der Teilnehmer geklärt, ein Zeitplan und entsprechende Inhalte vorbereitet werden.
Bei einem Konzert gehören auch wieder sehr viele Management-Aufgaben dazu: Die Reise-Logistik, wer fährt wie von wo wann wohin, wieviel Budget haben wir dafür, wo können wir einsparen, wie werden die Instrumente transportiert, werden welche gestellt, wenn ja, sind die gut genug? Wann ist Soundcheck, wer macht den, wann ist Einlass, können wir vor Ort proben, welche Mikrofone sind vor Ort, welche müssen wir mitnehmen? Wo ist das Hotel, wann können wir da rein, wer bezahlt das, wann wird wo was gegessen. Dann natürlich die Frage nach dem Vertrag mit dem Veranstalter, können wir CDs oder Merchandising verkaufen, der Stand muss aufgebaut, die Merchandising-Produkte müssen hin transportiert werden. Eine Rechnung muss geschrieben, die GEMA-Liste ausgefüllt werden (das alleine kann eine Stunde dauern). Das Konzert selbst ist Spaß! Dass die Band da ist und spielen kann und sich um alles gekümmert wurde – das ist die Arbeit. Ein Musikerfreund von mir aus New York, der Keyboarder von Miles Davis, Adam Holzman, hat mal den treffenden Satz gesagt: “On tour you get paid for travelling and doing soundchecks. The gigs are for free!“

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Ich glaube, das wurde aus meinen bisherigen Antworten schon deutlich: Das größte Problem ist die finanziell prekäre Lage. Gleichzeitig habe ich eine Familie gegründet (was offensichtlich eigentlich gar nicht geht als freiberuflicher Jazzmusiker). Ich versuche, diese beiden Lebensentwürfe unter einen Hut zu bringen und das erfordert schon viel Geschick und Jonglieren. Und immer wieder Existenzangst (ich kann mich an kein Jahr erinnern, in dem ich nicht mindestens einmal gedacht hätte, ich gebe auf).
Weil in dem „Business“ eben kein Geld ist, gibt es auch keine Chance, jemanden zu finden, der für einen daran arbeitet. Also muss man den Business-Anteil an dem Job auch noch selbst machen, das ist das zweitgrößte Problem.
Beide Probleme ließen sich vielleicht mit mehr Geld lösen – könnte man davon dann einen Künstler-Manager bezahlen, der sich auch darum kümmern würde, die Belange des Musik-Business zu führen, könnte man sich in Ruhe um die Kunst kümmern. Aber das wirkt wie eine Utopie. Dennoch versuche ich ja gerade, das Unmögliche möglich zu machen… ;o)
Grundsätzlich würde ich sagen, dass man sich als Künstler nicht vom „Bedarf“ oder dem „Markt“ leiten lassen darf. Eine Gefahr wäre, zu versuchen, zu gefallen – da möchte ich auf jeden Fall aufpassen. Ich mache sehr gerne Musik, die den Menschen gefällt – aber nur, weil sie mir selbst gefällt. Ich erlebe manchmal, dass Musiker das nicht tun, sondern etwas machen, von dem sie denken, es kommt an. Das finde ich furchtbar. Das ist eine Thema-Verfehlung, meiner Meinung nach. Dazu darf es, bei allen Schwierigkeiten, nicht kommen.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Was hilft, ist die Band. Die Mitmusiker, die auf ihre Art und Weise an der Kunst arbeiten. Und wenn wir zusammenkommen und uns nur über die Musik unterhalten, wenn es dann um nichts anderes geht, einfach nur darum, wie das Stück sein muss. Da kommt man in eine Konzentration auf das Wesentliche, die enorm schön ist. Da hebe ich ab.
Und natürlich der Moment der Performance! Ich bin ja ein live spielender Musiker und ich liebe den Moment des Konzerts. Das ist das Auge des Sturms. Wenn ich Musik mache, gibt es nur den nächsten Ton, das perfekte Riff, die ideale Melodie, die Eleganz und Schönheit der Phrase, den harmonischen Klang, die Ausgewogenheit im Zusammenwirken der Instrumente. Das ist alles, was zählt, alle andere gibt es nicht mehr. Wenn ich das nicht könnte, könnte ich kein Musiker sein, dann wäre ich Manager.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Wenn ich Management-Tätigkeiten übernehme, habe ich es gerne ruhig, da es ja vor allem um Kommunikation geht. Ich möchte mich auf den richtigen Ton konzentrieren, dass ich mit den Leuten so umgehe, wie es passt. Das ist auch am erfolgversprechendsten.
Üben kann ich in jeder Lebenslage – im Wald, auf dem Union Square in New York, unter einer Brücke, im Schlafzimmer, im Auto, im Hotelzimmer. Egal. Ich konzentriere mich auf das, was ich jetzt erreichen will, und mache es.
Das Komponieren funktioniert am besten nach „Eingebung“. Manchmal beim Laufen oder im Urlaub kann es sein, dass eine Landschaft mich „kriegt“ oder ein Gedanke groß wird. Dann bearbeite ich den weiter, dann wird da ein Stück draus (oder manchmal schreibe ich auch Gedichte, aber das muss unter uns bleiben… ;o)).

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Der wichtigste Teil der künstlerischen Arbeit passiert beim Proben, in der Auseinandersetzung mit meinen Bandkollegen. Wenn wir gemeinsam an den Entwürfen arbeiten, die jeder mitbringt. Das Entwerfen selber ist auch gut, aber das kommt meistens von selber zu mir, da „mache“ ich selbst eigentlich nichts – ich lasse nur durch…
Das andere – naja, das passiert natürlich am Schreibtisch, in meinen „Office Hours“.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Ich muss mir überlegen, was ich eigentlich will damit. Dann geht es ganz leicht. Man braucht immer ein Ziel, eine Deadline, eine Grund-Idee, die man verfolgt. Dann ergeben sich die notwendigen Tätigkeiten wie von selbst und dann komme ich auch in den „Flow“, während ich das mache.
Ein profanes Beispiel: Ich weiß, wie viel mir Tonleitern-Üben für das freie Improvisieren, die Beweglichkeit auf dem Instrument und für den kreativen Moment, den ich dann da haben kann, bringt. Und also übe ich Tonleitern wie ein Wahnsinniger! Dabei hört sich das von außen vielleicht „langweilig“ an, wirkt wie Zirkeltraining oder so – aber im Kopf geht dabei eine Menge ab, und ich kann aufhören zu denken, bin ganz im Klang, kann mich auf die einzelnen wichtigen Parameter des instrumentalen Spielens konzentrieren. Ich liebe das.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Normal. Scheitern ist der Normalzustand. „Üben heißt, etwas zu tun, was man nicht kann, bis man es kann“ (der Spruch ist von mir). Wenn es nicht klappt? Aufstehen, Krone richten, nochmal versuchen. Nur Hartnäckigkeit bringt dich ans Ziel. Du wirst keinen Künstler, und sicherlich keinen freiberuflichen Künstler finden, der nicht eine solche Hartnäckigkeit aufzubringen bereit ist.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Manchmal hilft es, alte Erfolge anzuschauen und zu sehen, was ich schon erreicht habe. Manchmal brauche ich den Zuspruch von Freunden, der Familie, oder meiner Frau. Und manchmal brauche ich einen Arschtritt von einem Kollegen, der sagt: „Scheiß drauf, weitermachen.“
Grundsätzlich gilt: Wenn man nicht sowieso schon davon überzeugt ist, dass das, was man beizutragen hat, einen Wert hat, wird man es nicht weit bringen. Weil ganz viele Leute oder Situationen einem das Gegenteil suggerieren wollen. Man muss selbst daran glauben, dass die eigene Arbeit super und wichtig ist. Sonst braucht man es gar nicht erst zu versuchen.
Ich habe das schon zu Beginn geglaubt. Ich habe Saxophon gelernt, weil ich der Meinung war, es so spielen zu können wie sonst keiner. Und wenn ich es nicht tue, fehlt das in der Welt. Also leiste ich meinen Beitrag, indem ich das einbringe.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Meistens belohnt das schon alleine! Das Gefühl, da angekommen zu sein, wo man hinwollte, das ist schon herrlich. Das neue Album zum ersten Mal in der Hand zu halten. Oder auf die Bühne rauszugehen, auf die man unbedingt wollte. Letztes Jahr hatte ich das ein paar Mal mit meiner Band. Dann gehst du raus in den Willkommens-Applaus, die Lichter leuchten und du denkst: YES! Dann ist das Konzert zu spielen nur noch der pure Genuss. Wolke sieben. Keine Belohnung kann das ersetzen.
Das heißt nicht, dass ich nicht Wünsche hätte, die ich mir gerne erfüllen würde. Aber das würde ich nie als Belohnung für einen Erfolg machen. Ich mache mir eigentlich grundsätzlich nicht viel aus Dingen, die sind eher ein notwendiges Übel, Werkzeuge.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Na klar, allerdings! Zuletzt habe ich „Deep Work“ von Cal Newport gelesen, das ist echt super. Oder auch „Essentialism“ von Greg McKeown. Das sind eigentlich Business-Bücher, aber die enthalten sehr viel gutes Wissen auch für die kreative Arbeit. Es geht darum herauszufinden, was z.B. die Essenz der eigenen Arbeit ist, und der besser zu entsprechen. Das ist schon enorm hilfreich.
Toll war auch das Buch von Rick Rubin, der Musikproduzenten-Legende, über Kreativität. Oder die Bände von Austin Kleon, beginnend mit „Steal Like An Artist“.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Mir persönlich? Sehr viel. Ich wünsche mir unbedingt, dass andere sehen, was ich mache und wie viel Arbeit das ist und was für eine Leistung da erbracht wird. Aber das geht eigentlich eh nicht – niemand kann sich auch nur im Entferntesten vorstellen, was da alles dazu gehört. Das geht ja schon beim Üben los, und wenn es dann um die ganzen Management-Tätigkeiten geht, sowieso.
Deswegen habe ich mich davon verabschiedet, zu glauben, dass das einer merken kann. Die Leute sehen nur sich selbst und ihre eigene Wahrnehmung der eigenen Kunst; mehr ist nicht drin. „Wir hören nur uns selbst.“ (Ernst Bloch)
Trotzdem freue ich mich ungemein, wenn jemandem gefällt, was ich mache. Denn dann weiß ich: Es war nicht umsonst! Es macht die Welt schöner, wenn auch nur ein kleines bisschen. Der ganze Sinn der Sache ist ja, Schönheit in die Welt zu bringen, finde ich. Und wenn mir das gelingt: Olé! ;o)
Ich freue mich über jede E-Mail, jedes nette Wort nach dem Konzert, jeden Kommentar unter einem YouTube-Video. Als Künstler will ich gesehen werden (bin ich deswegen gestört? Vielleicht…) und wenn das passiert, freue ich mich. Auf der anderen Seite kann Kritik auch ganz schön weh tun – das ist sehr schwer auszuhalten.
Auf unserer letzten England-Tour hatten wir ein Konzert in einem sehr renommierten Club, das sehr schwer zu bekommen war. Wir haben den Abend dreimal hintereinander ausverkauft, die Leute gaben uns Standing Ovations und waren völlig aus dem Häuschen. Danach hat der Tontechniker mir gesagt, er mache dort 10 Shows pro Woche, und so etwas habe er seit mindestens einem Jahr nicht mehr erlebt. Da freut man sich schon… ;o)

 

Wovor hast du Angst?
Eigentlich bin ich nicht der ängstliche Typ. Sonst würde ich das alles gar nicht aushalten. Aber im Moment ist es schon wieder ein bisschen zum Angst haben. Und ich habe auch noch nie keine Angst gehabt. Wie gesagt, ich kann mich an kein Jahr erinnern, in dem ich nicht einmal gedacht hätte, ich gebe auf, ich schaffe es nicht mehr, es war alles falsch.
Ich habe Angst davor, mich zu vergaloppieren mit meinem Versuch, mein Unterrichts-Business umzukrempeln. Ich habe Angst davor, nicht mehr interessant zu sein für die Leute, nicht mehr gebraucht zu werden, nicht mehr „den richtigen Ton“ im Umgang mit den Leuten zu treffen. Ich weiß, dass ich schöne Musik machen kann, aber was, wenn das keiner mehr hören will und wenn niemand mehr von mir etwas lernen will? Ich glaube es eigentlich nicht, aber manchmal kommen mir solche Gedanken.
Und – da ich mit meiner Frau zusammenarbeite und wir gemeinsam unsere Familie ernähren – ich habe auch Angst, dass ich plötzlich alleine dastehe. Ich hatte das vor Kurzem, sie war länger krank und das hat sich überhaupt nicht gut angefühlt. Es sind vor allem Existenzängste, die man da hat – dass man alles wieder verlieren kann und dann vor dem Nichts steht. Ich kenne das Gefühl und ich hasse es und ich will es nie wieder haben – aber ich habe noch kein Jahr ohne es geschafft. Ich arbeite dran. Maybe next year?

 

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