Katja Scholtz Logo

„Wenn ich neue Ideen oder Erkenntnisse habe, kann das ein Gefühl von Verliebtsein auslösen.“

Kirstin Warnke, Schriftstellerin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Zuerst trinke ich Kaffee, bei fast jedem Wetter auf dem Balkon, und meditiere zehn Minuten. (Von 7:30 bis 13:00 Uhr mach ich handyfreie Zeit.) Wenn ich Bewegung brauche, laufe ich zum Bäcker, dabei kommen mir meistens neue Gedanken oder sogar Ideen. Zur Inspiration lese ich morgens etwas, was gerade meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das können ein paar Zeilen sein oder mehrere Seiten.
(So ist es, wenn ich schreibe. Wenn ich spiele, spreche ich mich immer nach dem Aufstehen ein.)
Mittags ist Pausenzeit. Da gehe ich ins Café, treffe dort die anderen (Musiker, Komponisten, Schreibende, Rentner, Psychologen, Kinder). Nachmittags fahr ich gerne eine Stunde Fahrrad und mache dann Dinge, für die es wenig Geist braucht: Mails beantworten, Briefe, Rechnungen, Steuer etc., manchmal auch einfach einen Mittagsschlaf.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Alles ist ja Arbeit, umso mehr man mit dem verwoben ist, was man tut. Ist es ein Text, beschäftigt der mich eigentlich jeden Tag, bis er fertig ist. Das kann von früh morgens bis nachts sein, vieles ist mentale Arbeit, die weiterläuft, während man andere Tätigkeiten verrichtet.
Was die Textmenge betrifft, so schaffe ich irgendetwas zwischen einem einzelnen neuen Wort und zwölf Seiten.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ (Recherchen, Bürokram)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Alles, was nicht kreative Arbeit ist, bleibt oft über Wochen liegen, weil ich keinen Kopf dafür habe. Wenn ich gerade noch nicht weiß, wovon ich in drei Monaten meine Miete zahle, mache ich manchmal eine Verabredung mit mir selbst, nicht in Stress zu geraten, und lege ein Datum fest, ab wann ich mir darüber wieder Sorgen machen darf und sollte, sonst kann ich nicht arbeiten. In der Zeit des erlaubten Sorgenmachens überlege ich dann, wie ich wieder an Geld komme, und schreibe Konzepte, überlege mir Themen für Zeitungsartikel, frage einen Freund vom Theater, ob es eine Rolle für mich gibt, und weil es die natürlich nie gibt, denke ich mir die wildesten Dinge aus: eigene Fernsehserien oder Standup-Comedy-Shows, ich überlege, wie ich auf die Schnelle Millionärin werden kann, überlege, als Selbstversorgerin aufs Land zu ziehen oder Sängerin zu werden und nachts für hohe Gagen in Hotels aufzutreten. Und wenn irgendwann das normale Denken wieder einsetzt, nehme ich einen Podcast-Piloten auf und biete ihn an, unterrichte an einer Hochschule oder arbeite, wenn ich nur Zeit bis zum nächsten Auftrag überbrücken muss, als Chauffeurin. Und wie ich die Dinge in der Balance halte: Ganz einfach – ich kümmere mich immer nur um eine Sache und vergesse alles andere so lange, bis es mir um die Ohren fliegt.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Au weia, haha. Wenn ich etwas zustande bekomme, ist das immer die beste Erholung. Dann bin ich abends gut drauf und gehe zufrieden ins Bett. Aber ich treffe auch sehr gerne Freunde, liebe Ausflüge, gutes Essen, Kaffee, in der Sonne sitzen. Rumalbern mit Freunden entspannt mich am meisten. Ich verbringe überhaupt nur gerne Zeit mit Menschen, mit denen ich wirklich vertraut bin. Sonntags mache ich Haushalt. Nicht, weil das eine Regel wäre – mir fällt nur beim Haushaltmachen jedes Mal auf, dass Sonntag ist.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Wenn ich inspiriert bin, bin ich schwer abzulenken. Dann habe ich gar keine Lust auf etwas anderes und alles, was mich ablenken will, nervt. Gefährlich wird es, wenn ich mit einer Arbeit nicht weiterweiß. Dann folge ich Sirenengesängen: Ich fange etwas ganz Neues an, was mir gerade leichter von der Hand geht. Oder ich übe mich in Selbstsabotage. Es gab vor einiger Zeit die Gefahr, dass ich meinen Roman nicht fertigschreibe: Ich hatte ein riesiges Jobangebot. Dann dachte ich: O.k., wenn ich diesen Job annehme, werde ich meinen Roman nicht schreiben. Das schaff ich nicht parallel. Dieser neue Job würde mich komplett einnehmen. Ich habe den Job dann u.a. abgelehnt, weil es mich todunglücklich gemacht hätte, nicht weiter an meinem Roman zu schreiben. (Aus finanzieller Sicht war das eine geisteskranke Entscheidung, dieser Job hätte mich bis zur Rente finanziert.)

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
An etwas arbeiten, was wirklich begeistert und was man uuuuunbedingt tun will. Und das hat, glaube ich, immer etwas zu tun mit Dingen, die vielleicht sogar Angst machen.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Mal so, mal so. Gerne arbeite ich bei offener Balkontür. Manchmal brauche ich aber Leute um mich, dann gehe ich in die Bibliothek oder ins Café.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, im Bett, im Austausch mit anderen Menschen?
Beim Gehen, Stehen, Musikhören, Diskutieren, Putzen, Waschen, Lesen, Rumsitzen, Dämmern. Vor allem aber beim Schreiben selbst.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Nicht so oft. Oder bin ich es ständig? Keine Ahnung. Das ganze Leben wird zum Flow, wenn mich das, woran ich gerade arbeite (also forsche, herumsuche, formuliere, womit ich ringe), wirklich interessiert. Alles sehe ich dann auf diese gerade laufende Arbeit bezogen, und wenn ich dann neue Erkenntnisse oder Ideen habe, kann das ein Gefühl von Verliebtsein auslösen. Dieses Gefühl hält sich manchmal tagelang. Manche Wochen fühlen sich an wie der Gang durch einen bleiernen See. Aber wenn man hindurch ist, ist das Verliebtsein zurück.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Bewegen: Yoga. Feldenkrais. Gehen, Fahrrad fahren. Wenn es dann immer noch nicht geht, akzeptieren, dass das jetzt so ist, und vielleicht was ganz anderes machen. Die Dinge bewegen sich trotzdem weiter. Es fühlt sich nur nicht immer so an. Manches muss erst reifen. Und das Reifen scheint irgendwie sprungweise zu passieren. Und es ist, glaube ich, immer gut, noch mal ganz an den Anfang zurückzukehren: Was genau wollte ich? Warum wollte ich das? Was hat mich daran so gereizt? Gerade an den Problemen lassen sich manchmal spannende Dinge herausfinden. Ein Theaterregisseur meinte einmal: Wenn es nur Probleme gibt, dann bring das Problem selbst auf die Bühne.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Erst mal eine Bestandsaufnahme: Was ist gerade da und was nicht? Bin ich nur schlecht drauf oder habe ich mein Leben aus dem Blick verloren? Wenn es nur das übliche Kaspertheater im Kopf ist: die eigenen Gedanken beobachten, sie aufschreiben, irgendwo aufhängen und ihnen Tiernamen geben (der „Ich kann nichts und bin nichts”-Gedanke könnte zum Beispiel THORSTEN DER HÄSSLICHE HAI sein. Dann sagt man: „Ach, hallo hässlicher Hai Thorsten! Wir kennen uns ja schon! Ich wünsch dir einen schönen Aufenthalt und bleib gern, solange du willst – ich mache hier trotzdem weiter meine Sachen.” Und was sonst noch hilft: die Sorgen teilen mit anderen Selbstständigen und sich austauschen. Mir hilft auch Spiritualität. Nein, das ist untertrieben: Ich bin sehr spirituell, das weiß aber kaum einer.
Was auch gut ist: aufzuschreiben, was man bereits geschafft hat. Ich neige dazu, mich wie eine Achtjährige zu fühlen, die noch absolut nichts in ihrem Leben zustande gebracht hat. Wenn ich dann meinen eigenen Lebenslauf ansehe, denke ich manchmal: DAS hab ich alles gemacht?! Dann kommt die Relativierung: Na ja, das hab ich ja NUR geschafft, WEIL usw. So ist das halt, haha.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
EXZESSIV! 🙂 Massagen, Wellness, Essen, Essen, Essen, neue Bücher, ein neues Kleid, eieieiei. Ich übertreib‘s wirklich.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Schlimm! Ich frage so viele Leute und nehme jede Meinung so ernst, dass ich am Ende gar nichts mehr weiß. Als es um den Titel meines Buches ging, habe ich selbst Leute nach ihrer Meinung gefragt, die noch niemals ein Buch in der Hand gehalten haben, und fand, dass die mir da sicher großartige Ratschläge geben können.
Viele Jahre lang hab ich Massen von Ratgeber-Literatur gelesen und fand das hilfreich. Mittlerweile glaube ich nur noch Leuten, die selbst etwas Gutes vorweisen können. Wer Regeln aufstellt („Vermeiden Sie Adjektive!”), dessen Rat misstraue ich eher – dennoch: eigener Stil findet sich zwar nicht über die Regeltabellen eines anderen, kann aber dem Prozess dienen. Dann kann ich einen Text schreiben ohne Adjektive und gucken, ob ich auf diese Weise das ausdrücken kann, was ich ausdrücken möchte. Macht es mir Spaß, ohne Adjektive zu schreiben? Und was genau passiert eigentlich, wenn ich eine Begebenheit durch zehn Adjektive beschreibe?

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Sehr viel. Wenn die fünf-sechs Leute, deren Meinung mir wirklich etwas bedeutet, meine Kunst schätzen und durch sie berührt werden, versetzt mich das in einen Seligkeitsrausch.

 

Wovor hast du Angst? 
Vor Verlusten.

 

 

@ichwarnkesie_