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„Am besten ist, wenn sich das, was ich gerade mache, ein bisschen wie Unfug anfühlt.“

Kirsten Fuchs, Schriftstellerin & Lesebühnenautorin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Erst mal muss ich sagen, dass es Tage gibt, an denen ich nicht arbeite. Manchmal sogar wirklich gar nicht, nicht mal gedanklich, aber das ist selten. Hauptgerät ist ja mein Kopf und der will spielen und wahrnehmen usw. Das tut er eben, und wenn etwas zu gut oder interessant ist, dann kippt es von privat zu beruflich, und ich muss etwas notieren, auch Weihnachten, wenn ich mit den Kindern spiele.
Warum erzähle ich, wie ich nicht arbeite? Das war nicht die Frage.
Das richtige Arbeitenarbeiten ist für mich nur das Schreiben, nicht das Vorlesen, nicht das Touren, nicht das Ins-Studio-Gehen. Das ist auch Arbeiten, aber eigentlich will ich schreiben. Das ist der Kern. Darum mache ich das. Schreiben geht wirklich nur wenige Stunden am Tag. Danach kann ich höchstens noch Kolumnen oder Notizen oder Texte überarbeiten.
An idealen Tagen, wenn ich ganz diszipliniert die To-do-Liste abarbeite und immer 25 Minuten schreibe, dann Pause mache usw., komme ich mir selbst fremd vor. Dann bin ich so früh fertig und könnte Feierabend machen, dass ich mit Absicht am nächsten Tag bummle, glaube ich. Ideale Tage ziehen unideale Tage nach sich. Das ergibt wie beim Weg-Kraft-Gesetz trotzdem immer dasselbe Tempo.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Wenn ich immer supereffektiv wäre, würden vier Stunden am Tag reichen. Dann würde ich sofort anfangen und danach sofort Schluss machen. Aber oft lege ich mich zwischendurch noch mal hin und habe eine zweite Arbeitsphase oder sogar eine dritte, in der ich nur Notizen sortiere oder recherchiere. Was kommt dabei raus? Zwei bis drei Seiten oder zwei überarbeitete Texte.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Wenn ich das wüsste. Ich prokrastiniere, indem ich statt meiner Arbeit eine andere Arbeit mache. Ich mache nicht gern Bürokram und schreibe deshalb lieber. Auf Social Media hab ich eigentlich fast immer Lust. Weil es so schnell geht und in der Kommunikation so direkt und schnell ankommt. Recherche mache ich auch gerne. Was Rechnungen angeht, versuche ich immer, mehrere an einem Tag zu machen. Das staut sich also an und muss dann erledigt werden.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Frühling bis Herbst sind wir am Wochenende im Garten, aber es gibt auch oft Auftritte am Wochenende. Dafür hole ich manchmal einen freien Tag in der Woche nach. Ich arbeite auch gern am Wochenende und nachts. Irgendwie mag ich es zu arbeiten, wenn andere nicht arbeiten, und ich mag auch, dran zu bleiben, wenn es gerade gut klappt. Dann interessiert mich überhaupt nicht, wie spät es ist oder welcher Tag. Aber dasselbe gilt auch, wenn mich das Schreiben gerade nicht interessiert. Dann eben nicht. Dann lass ich es auch über lange Phasen und wurschtle anders herum oder unternehme was mit den Kindern oder Freunden oder lese oder nähe. Also ich nehme die Phasen so, wie sie sind. Oft klemmt irgendwas, bis ich wieder locker schreiben kann. Dann warte ich das ab, auch wenn es mich nervt, dass ich dann viel Unfug mache, nur damit Zeit vergeht. Ein bisschen wie im Garten, wo eben irgendwas noch nicht reif ist.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Gefährlich sind Angebote mit viel Geld, wenn ich dann nicht das mache, was ich machen will. Also vielleicht hat die Aufgabe schon mit Literatur zu tun und mit Schreiben, aber ich komme dann nicht zum eigentlichen Schreiben. Und wenn ich mich dann in einen Tagesablauf begebe, aus dem ich über einen längeren Zeitraum nicht rauskomme… Da lasse ich viel Kraft. Meistens versuche ich hinterher zu sehen, was ich gelernt habe, aber eigentlich lerne ich immer nur, dass ich das lassen sollte. Natürlich aber muss ich mein Konto fragen, ob ich nur machen kann, was ich wirklich will, oder ob ich eventuell länger fremddenken muss für nicht eigene Projekte. Kurz geht das natürlich, Workshops usw., aber wenn es zu viel Zeit in Anspruch nimmt und ich dann aus Prinzip trotzdem zusätzlich mein Zeug machen will, wird es einfach zu viel.
Ablenken lasse ich mich von allem, würde ich glatt behaupten, aber hauptsächlich von mir selbst. Wenn ich sehr ablenkbar bin, dann ist auch meistens irgendwas in Schieflage, ich bin leer, erschöpft oder unzufrieden. Das merke ich daran, dass ich zu viel kurze Freuden brauche, so wie Zucker statt gesunder Sachen, einfach weil die Energie nicht so weit reicht. Dann bin ich auch anfälliger für Spiele auf dem Handy und Serien usw.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Viele. Vermutlich kenne ich alle und probiere ständig andere aus, aber sie klappen oft nur phasenweise. Ich muss sie wechseln bzw. diese Werkzeuge so anwenden, wie sie gerade funktionieren. Es gibt nichts, was immer funktioniert.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Ich arbeite in einem kleinen Büro, in dem nur ich bin. Das ist wichtig. Früher war ich mal in einem Coworking-Space. Das war gut, um Disziplin zu bekommen, aber jetzt hab ich genug Disziplin, sodass ich meinem Rhythmus nachgeben und mich auch mal hinzulegen kann usw.
Ich brauche inzwischen Stille. Ich lasse im Büro die Rollläden unten, immer. Ich habe oft Kopfhörer auf, selbst wenn gar kein Krach ist. Am Anfang höre ich oft dieselben zwei Lieder, um mich einzustimmen. Und dann lasse ich stundenlang Regengeräusche laufen, aber auch immer dieselben, es ist ein sehr ruhiger Regen. Ich muss Kaffee trinken und leider auch immer noch rauchen. Ich muss viele Kleinigkeiten essen und einmal am Tag 25 Minuten schlafen. Ansonsten hopse ich manchmal oder tanze. Schon deshalb ginge das mit einem Coworking-Space gar nicht mehr.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Der wichtigste Teil. Das kann ich nicht beantworten. Darüber habe ich jetzt schon zu lange nachgedacht. Ich finde keine Antwort.
Inspiration bekomme ich, sobald ich laufe und fotografiere (dabei muss ich aber allein sein), S-Bahn fahre, mit Menschen rede oder über Sprache nachdenke. Wenn etwas lustig ist, kommt auch immer was Ernstes dabei heraus und andersrum. Das hängt irgendwie zusammen, vielleicht will ich ausgleichen. Also das eine zieht das andere mit. Darum ist es immer gut, wenn ich an mehreren Texten und Textformen parallel herumschraube. Dann gibt es immer einen Text, den ich gerade will, und das ist eigentlich die beste Situation überhaupt, wenn es sich erst mal so anfühlt, als wollte ich das einfach, obwohl ich insgeheim weiß, dass ich den Text sicherlich nicht nur schreibe, um etwas gedanklich für mich zu sortieren oder festzuhalten.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Am besten ist, wenn sich das, was ich gerade mache, ein bisschen wie Unfug anfühlt, sei es, weil es unvernünftig ist, nachts zu arbeiten, sei es, weil dieser Text gerade gar nicht dran ist. Also das Wollen ist wirklich der Schlüssel, und am besten noch so ein bisschen mit Selbstermächtigung, haha, das mach ich jetzt einfach. Wenn ich nur muss, wird es schwieriger, aber geht auch, vermutlich weil ich nebenbei meistens „Haha, das mach ich jetzt einfach“-Projekte mache. Wenn ich nicht rumprobieren kann, wird’s wirklich schwer. Also eine Deadline, die keinen Platz dafür lässt, nebenbei zu spielen, die hilft dem eigentlichen Text auch nicht und mir schon gar nicht. Sonst funktionieren Deadlines gut, für kürzere Texte jedenfalls.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Weiter.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Ich glaube, ich verdränge einiges einfach. Gerade wenn es wehtut, dass etwas wirklich nicht geklappt hat, versuche ich, etwas anderes zu machen. Ganz selten hat es mich auch motiviert, aber natürlich hatte ich oft Angst, weil schlechte Auftritte oder Kritiken zum Beispiel ganz schön reinhauen können. Das eine ist der Kopf, der sagt „Gehört dazu und passiert eben mal“, aber das Herz spinnt ja oft rum. Schlimm wird es, wenn der Kopf dann auch mitmacht und sich so reinsteigert. Ich versuche dann zu schreiben, als ob ich nur für mich schreiben würde. Tatsächlich habe ich auch viele Texte geschrieben, die nie fertig geworden sind oder einfach so handschriftlich im Büro herumliegen. Wer weiß, ob ich die nochmal brauche, aber ich brauchte sie auf jeden Fall, damit meine Beziehung zum Schreiben bestehen bleibt. Das ist das Wichtigste. Ich brauche dieses Schreiben auch einfach, weil ich davon ruhiger werde, also von dem Schreiben nur für mich. Ich muss immer wieder an den Kern und Ausgangspunkt dieser Tätigkeit. Der Kern war nie die Veröffentlichung. Der war schreiben, sich was ausdenken, etwas verstehen, frei sein. Also schiebe ich alle anderen Menschen von meinem Schreiben weg. Texte sind nicht immer nur da, gelesen zu werden.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Ich belohne mich vorher und währenddessen, aber danach nicht. Da bin ich irgendwie vom Fertigsein belohnt. Da freue ich mich, dass ich als Nächstes etwas anderes schreiben kann. Dass ich kurz frei bin.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ich lese alles, was mit Schreiben zu tun hat, höre Podcasts usw. Manchmal denke ich, dass andere das nicht zugeben, weil es so klingt, als wüsste man nicht schon alles. Ich interessiere mich, wie andere arbeiten, und für Ratgeber und alles. Manchmal hilft mir etwas davon. Ich hole oft die Meinung von anderen ein und höre darauf oder auch nicht. Gerade wenn mich die Meinung total nervt, ahne ich oft, dass es einen Grund hat. Weil ich vielleicht nur keine Lust habe, etwas zu ändern oder einen ganzen Text noch mal zu überarbeiten.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Ich freue mich, dass es anderen etwas bringt, was ich schreibe und tue. Das merke ich schon. Über die Jahre gab es ja viel Anerkennung. Da bin ich quasi zufriedengestellt. Die absoluten Höhepunkte waren die jungen Fans der „Mädchenmeute“. Das war noch mal ein anderes Kaliber als die Begeisterung von Erwachsenen. Und die Reaktion der Kinder, die die „Miesepups“-Bücher lieben, das hat mich auch noch mal total umgehauen. Beim Slam gibt es ja auch oft Applaus und eine volle Zuschauerreaktionswucht. Also ich glaube nicht, dass man sich daran gewöhnt, aber sagen wir mal, ich weiß ziemlich genau, dass das, was ich mache, oft sehr gut ankommt. Das ist schön, und manchmal ist es mir auch irgendwie peinlich. Und wenn der Applaus ausbleibt, dann ist das auch etwas, was ich inzwischen kenne. Also du kannst nicht immer gewinnen oder einen Volltreffer haben.
Ich freue mich am meisten, wenn irgendein Text Menschen tatsächlich etwas bringt und ihnen etwas bedeutet. Oder wenn sie in der Familie dann so einen Running Gag übernehmen. Das wird mir manchmal erzählt. Das fetzt.

 

Wovor hast du Angst?
Sicherlich beruflich gemeint. Ich hab eher so grundsätzlich Angst, vor der Zukunft usw. Beruflich, hm. Wenn es mit Schreiben nicht ginge, würde ich trotzdem schreiben und weniger oder gar kein Geld damit verdienen. Den Gedanken, aufzuhören und nicht mehr öffentlich zu denken, sondern einfach einen anderen Beruf zu haben, finde ich sogar manchmal schön.
Das Durchfiltern des Alltags nach Verwertbarkeit ist nicht gut geeignet, um zu entspannen. Und ich glaube auch nicht, dass es gesund ist, alles für relevant zu halten, was ich fühle und wahrnehme. Das finde ich beängstigend, weil ich glaube, das muss man selbst gehörig im Blick behalten, damit man seine Weltsicht nicht für die Welt hält. Ganz schlimm finde ich, wenn man Menschen mit Texten verletzt. Also wenn die Verantwortung sozusagen missbraucht wird. Oder wenn Menschen in mir etwas sehen, das ich gar nicht bin, also wenn so nach mir gegriffen wird, obwohl sie mich nicht kennen. Diese Scheinintimität und meine Verletzbarkeit machen mir zu schaffen. Also die Verbindung zur Welt über den Text ist schon seltsam.

 

@fuchs.kirsten