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„Der Elfenbeinturm als Rückzugsort ist verführerisch und für die Kunstproduktion essenziell wichtig. Aber es braucht auch gesellschaftliche Einmischung, Wissen um die Strukturen, Diskursfähigkeit und Engagement.“

Kathrin Pechlof, Harfenistin & Komponistin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? Hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
Jeder meiner Tage ist anders. Je nachdem, was aktuell anliegt, gibt es einen anderen Fokus. Arbeit am Instrument, komponieren, Artikel + Texte schreiben, proben, Insta bespielen, Steuer machen, im Studio arbeiten, mit Veranstalter*innen kommunizieren, Juryarbeit, Anträge schreiben, Gema-Listen ausfüllen, Aufnahmen hören, Videos schneiden, Projekte abrechnen, Webseite, Fotos machen, Interviews geben und natürlich (als Kulmination von allem) Konzerte spielen und die damit verbundenen Reisen. Das Reisen nimmt viel Zeit und Energie in Anspruch, und das ist ein Teil, den ich zunehmend anstrengend finde. Ich gehe auch einer Lohnarbeit nach – zurzeit mache ich kulturpolitische Arbeit für einen Verband. Vorher habe ich viele Jahre beim Radio gearbeitet und für eine Stiftung. Das ist und war zeitlich flexibel und ich kann es auch gut von unterwegs aus machen. Es ist horizonterweiternd, auch andere Perspektiven zu gewinnen, sich in einem anderen Arbeitsumfeld und Soziotop zu bewegen. Für mich ist wichtig, ein zweites Einkommen zu generieren, um künstlerisch unabhängig zu sein und frei entscheiden zu können, was ich mache und was nicht. Eine Routine gibt es allerdings, die idealerweise jeden Tag stattfindet: 2 Stunden am Instrument. Da mach ich ein basic practice program, wie eine Art Workout, um in shape zu bleiben, und ich studiere musikalisches Material für die nächsten Konzerte. Schön sind die Phasen, in denen es mehr Raum für Vertiefung gibt und ich über eine längere Zeit ins Forschen und Imaginieren komme…

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Unterschiedlich. Mal gehen die Tage von 8 Uhr morgens bis abends um 10 Uhr, und um 15 Uhr fällt mir auf, dass ich wahnsinnig hungrig bin. Mal brauche ich Langsamkeit, gehe spazieren, wasche Wäsche, lese, denke, koche und übe nur zwischendurch 2 Stunden. Mal schreibe ich den ganzen Tag und am Ende landet alles im Papierkorb, mal renne ich stundenlang mit stupiden Aufgaben rum und bin schlecht gelaunt. Mal bin ich den ganzen Tag nur am Instrument und glücklich. Am Instrument bin ich nie ineffizient, da habe ich über die Jahre Methoden entwickelt, wie ich in kürzester Zeit superfokussiert und sehr konzentriert und sofort im Flow bin. Sehr viele Jahre lang habe ich sieben Tage die Woche wie eine Wahnsinnige gearbeitet, unfassbar viel geübt und eigentlich nie Pause gemacht und fast nie Urlaub. Jetzt mit Familie geht das nicht mehr so.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Diese „unsichtbare Arbeit“ ist zeitlich gesehen ein ziemlich großer Teil. Das ist einfach so und gehört dazu. Bemerkenswert ist vielleicht, dass im Normalfall nur der kleine sichtbare Teil auf der Bühne bezahlt ist und öffentliche Wirksamkeit hat, und dass, wenn das Konzert wegen Krankheit oder Sturm oder was auch immer ausfällt, kein Geld fließt.
Was aber viel schwieriger und ein Riesending für mich ist: eine Balance hinzukriegen zwischen Musikerin sein und Mutter sein. Ehrlich gesagt habe ich diese Balance immer noch nicht wirklich gefunden. Auf beiden Seiten ist es immer defizitär. Und das ist wirklich sehr schwer auszuhalten. Und es muss immer wieder neu verhandelt werden. Das ist oft frustrierend und verleitet mich dazu, über die eigenen Grenzen zu gehen, um mehr zu schaffen. Es geht also um die Balance zwischen Hingabe und Vertiefung und einem vernünftigen Umgang mit den eigenen Ressourcen und den Möglichkeiten. In einer Form künstlerisch tätig zu sein, die mich selbst zufriedenstellt, und mich gleichzeitig nicht von den Zwängen des familiären Alltags auffressen zu lassen, kostet eine derartige Menge an Energie, wie ich es mir vorher niemals hätte vorstellen können. Oft gehe ich an meine Grenzen und manchmal weit darüber hinaus und bin dann so erschöpft, dass ich längere Pausen brauche. Ich weiß nicht, wie oft ich krank auf der Bühne stand… Das ist etwas, wofür man unter Umständen langfristig einen Preis zahlt.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Wochenende ist, wenn das Kind nicht zur Schule geht und der Wecker nicht so erbarmungslos früh klingelt. Mit dem Begriff Freizeit kann ich wenig anfangen. Da denke ich an Freizeitpark, viele Leute und lautes Geklingel, das dazu da ist, Langeweile und Leere abzutöten. Brauche ich nicht.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Medien, Internet, die elektronischen Geräte, die immer in der Nähe sind und einem schnelle Entlastung versprechen und stattdessen ganz schnell das Hirn verstopfen. Das ist ärgerlich, aber auch nur die Oberfläche. Darunter liegt, dass die Bespielung von sozialen Medien extrem wichtig ist für freischaffende Musiker*innen. Die sozialen Medien scheinen wichtigstes Sprachrohr zu werden – Content kreiert man selbst (das braucht auch ein gewisses Talent und Expertise) und ist man selbst (auch oft nicht unproblematisch). Klassische Medien spielen immer weniger eine Rolle, werden weniger wirkmächtig, die Plattformen, auf denen unsere Kunst stattfindet, verschwinden oder verändern sich, die Ressourcen bei den in der Vergangenheit relevanten und redaktionell einordnenden Multiplikatoren wie öffentlich-rechtlichen Sendern werden zusammengespart. Gleichzeitig verändert sich der Diskurs, der Kulturbegriff wandelt sich. Der sicher geglaubte Konsens, dass auch die nichtinstitutionalisierten Künste selbstverständlich Teil eines öffentlichen Interesses einer pluralistischen Gesellschaft sind, scheint passé. Die Jahre der gut gefüllten Fördertöpfe sind vorbei. Kunst soll profitabel sein und marktwirtschaftlichen Prämissen gehorchen, die Privatwirtschaft soll einspringen. Das alles findet statt in einem sich krass verändernden politischen Klima und gesellschaftlicher Polarisierung, angesagt ist Vereinfachung und Verflachung. Ich glaube, es gibt allen Grund zu befürchten, dass es sehr viel schwieriger werden wird für alles, was mit Avantgarde, Nische, Nicht-Mainstream, Widersprüchlichem zu tun hat. All das greift das Biotop an, auf dem meine Kunst wächst. Und das lenkt mich natürlich vom künstlerischen Prozess ab, weil es große Kapazitäten braucht, eine Position dazu zu finden, sich dem entgegenzustellen und Strategien zu finden, damit umzugehen.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Kurzfristig? Ja und easy: Geräte ausschalten und weglegen. Grundsätzlich? Nein. Es ist nicht hilfreich, sich vor den gesellschaftlichen Veränderungen im Elfenbeinturm zu verstecken. Dieser Schutzraum ist extrem verführerisch und als Rückzugsort auch o.k., um überhaupt Kunst machen zu können – der zeitweise radikale Eskapismus ist für mich überlebensnotwendig. Aber ich glaube schon, dass es auch aktive Einmischung braucht, Wissen um die Strukturen, Diskursfähigkeit und konkretes Engagement. Einerseits ist das, was gesellschaftlich passiert, Inspiration, mich eben zu verhalten und einzumischen und mich entgegenzustellen. Andererseits ist es beunruhigend in einem Maße, dass sich die Sinnfrage stellt, und dann kann es auch die destruktivste Ablenkung sein von künstlerischen Prozessen.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Mit meinem Mann, der auch mein musikalischer Partner ist, nutze ich eine sehr schöne Arbeitswohnung, die voll ist mit Büchern, Noten, Instrumenten und weg von der Familienwohnung. Das ist die Insel, ein holy space, bei dem alles draußen bleibt und in dem geschöpft wird – ein produktiver Ort. Still, ungestört und mit Blumen vor dem Fenster.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtish oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Das Leben ist Inspiration. Darum geht es ja. Reflexion all dessen, was ich lese, sehe, höre, fühle, aufsauge, und das wird transformiert in eigenen künstlerischen Ausdruck. Umgesetzt wird es dann mit konkretem Handwerk und viel Arbeit (siehe oben).

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Telefon aus, dann Tonleitern, regelmäßig daily exercises, Routinen. Dann geht das ganz schnell. Am besten ohne zeitliches Limit (aber das sind sweet dreams. Meistens gibt es ein Limit, weil das Kind abgeholt werden muss oder der nächste Zoom wartet…).

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Reflektieren. Varianten versuchen. Weitermachen. Pause. Weitermachen.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Richtig viel arbeiten. Auch obsessiv.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Hm. Nein, belohnen nicht. Ab und zu fahren wir mit der Familie ein Wochenende schick weg. Land, Natur, wandern, gutes Essen. Einfach weil es schön ist und weil wir oft nicht so viel Zeit zusammen haben. In solchen Räumen gibt es Platz für neue Ideen und Perspektiven, für Gedankenaustausch, für Reflexion. Das ist schon wichtig, um erst runter- und dann weiter zu kommen.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Mut? Ich weiß nicht, ob es das ist. Guidance hat mir gegeben das Studium von Werken und Literatur – von und über andere Künstler*innen und Musiker*innen, der Austausch mit Gleichgesinnten, Kollaboration. Möglichst viel einzusaugen und sich einen möglichst großen Kosmos der Einflüsse und Inspirationen zu schaffen, die einen prägen – daraus formt sich die eigene Arbeit. Das ist der unendliche Prozess, der nie aufhört und nie genug ist. Und ich hab nach und nach gelernt, meine innere Stimme zu hören und ihr dann hartnäckig zu folgen. Da gab es einige wichtige Menschen in meinem Umfeld, die mich dazu sehr ermutigt haben.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Das ist auf jeden Fall wichtig. Ich mache das ja nicht für mich selbst. Es ist wahnsinnig schön, wenn Anerkennung von außen zurückkommt, beispielsweise einen Preis zu erhalten oder wenn auf andere Art wahrgenommen und wertgeschätzt wird, was ich tue, und das eine Resonanz findet. Ich will ja etwas bewegen und andere bewegen. Bestenfalls hat meine Arbeit einen positiven Impact auf Menschen, verändert ihre Wahrnehmung und öffnet neue Perspektiven. Es macht schon ein megagutes Gefühl, wenn wildfremde Leute mir schreiben oder nach dem Konzert auf mich zukommen und mitteilen, was meine Musik mit ihnen gemacht hat.

 

Wovor hast du Angst?
Ganz schön große Frage. Angst wächst aus dem Gefühl von Machtlosigkeit und dem Ausgeliefertsein von Willkür und Gewalt. Ich habe Angst vor gesellschaftlicher Disruption, vor Faschismus, vor der Idiocracy. Vor den riesigen Verwerfungen, die die Klimakrise mit sich bringen wird. Vor der Vorstellung, dass die mächtige Walze der Unwohlwollenden (ein Wort, das ich kürzlich bei Eva Menasse gelernt habe) alles platt macht, woran ich glaube. Und ich habe Angst davor, dass ich angesichts dessen aufgebe, an die Sinnhaftigkeit meines Tuns zu glauben.

 

Gibt es Dinge, die du bereust oder gern früher gewusst hättest? Was würdest du anders machen, wenn du am Anfang deiner Laufbahn stündest?
1. Noch früher mehr üben. Es gibt ein paar Jahre, in denen man einfach wahnsinnig knechten muss, um am Instrument gut zu werden, je früher, desto besser. Einen Teil meiner Schulzeit hab ich ziemlich verschwendet mit Partys und Nachtleben und der Suche nach oberflächlicher Akzeptanz. 2. Nicht so sehr darüber nachdenken, was andere denken könnten.

 

Hat sich die Selbständigkeit ergeben, war sie notwendig oder gewollt und angestrebt? Was ist das Schöne daran, was das Schwierige?
Das, was ich mache, kann ich nur selbständig machen. Und das ist in unserer neoliberalen, kapitalistischen Welt ein Problem. Ich mache eine Kunstform, die nicht institutionalisiert ist. Jazz und Improvisierte Musik haben in Deutschland eine völlig andere soziokulturelle Historie als die sogenannte Hochkultur. Die hat eine jahrhundertealte Tradition von Mäzenatentum und kontinuierlicher Strukturentwicklung hinter sich, was sich jetzt in großen und verhältnismäßig fest zementierten Summen institutioneller staatlicher Förderung abbildet. Verbunden ist das oft mit einem ziemlich konservativen Kunstbegriff, der sich an der Vergangenheit ausrichtet. Jazz und Improvisierte Musik haben in Deutschland eine vergleichsweise kurze Geschichte, wurden spät akademisiert. Diese Musik wurde und wird vorwiegend an Orten praktiziert, die kulturpolitisch wenig repräsentativ sind. Deshalb ist der Status schwach und nachhaltige Finanzierung schwierig. Wo es keine institutionalisierten Strukturen wie Konzerthäuser und Opernhäuser gibt, fließt wenig Geld. Es ist also für viele ziemlich schwierig, nur mit der Kunst ein nichtprekäres Leben zu führen oder so zu leben, dass man nicht ausbrennt. Deshalb – Rückblende auf die erste Frage – hatte ich bisher immer eine zweite Einkommensquelle, um das auszugleichen. Da kommen dann wieder der Zeitfaktor und die Energieressourcen ins Spiel… Je älter ich werde, desto mehr spielt das eine Rolle. Als ich aus dem saturierten Klassikbetrieb – da hab ich angefangen – in die Welt der Improvisierten Musik gekommen bin, war ich einigermaßen schockiert, was die Arbeitsbedingungen und das geringe Vorhandensein von Strukturen betrifft. Als ich nach Berlin gezogen bin, hatte sich gerade die Interessenvertretung in Berlin gegründet. Ein paar Jahre später habe ich angefangen, mich zu engagieren, um dazu beizutragen, dass die Situation sich verbessert. Das mache ich bis heute.

 

 

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@kathrin_pechlof_harp