„Ich bin grundsätzlich sehr ablenkbar, am meisten wahrscheinlich durch Sachen, die sich auch als nützlich verkleiden.”
Judith Holofernes, Musikerin, Songschreiberin, Autorin
Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? Hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
Damit experimentiere ich ehrlich gesagt selber noch, ich bin immer sehr beeindruckt von Erzählungen von Schreibenden, die jeden Tag verlässlich an ihrem Arbeitsplatz sitzen, Neil Gaiman zum Beispiel. Was ich sagen kann, ist: Wenn ich das so mache, dann geht es mir damit immer sehr gut. Ich lass mich allerdings relativ leicht aus dem Sattel werfen. Im Moment habe ich eine Phase, in der ich tatsächlich jeden Tag in meine Arbeitswohnung gehe und kontinuierlich schreibe, und das macht mir total Spaß.
Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Ich glaube, netto sind das so was wie sechs oder sieben Stunden. Das ist jetzt nicht unbedingt nur Schreiben, sondern vielleicht auch zwischendurch irgendwas, was ich nebenher noch zu tun habe… Am liebsten würde ich immer nur schreiben, und das sieben Stunden lang, ich stelle allerdings fest, dass dann auch irgendwann mein Gehirn anfängt zu flattern. Seitenanzahlen oder Zeichen setz ich mir nicht als Ziel und zähle ich auch nicht wirklich, weil meine Arbeitstage letztlich doch sehr unterschiedlich sind. Zum Beispiel diktiere ich meine ersten Entwürfe, transkribiere sie dann, räume sie auf und feile dann daran herum. Von daher gibt es Tage, an denen zwar viel passiert, aber gar nicht so viel auf dem Papier landet.
Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Um die Balance kämpfe ich, seit ich denken kann, aber ich werde besser darin. Alles, was Außendienst ist, versuche ich meistens irgendwie zu bündeln, weil ich festgestellt habe, dass ich einen riesigen Wendekreis habe und nur schwer zu meiner kreativen Arbeit zurückfinde.
Was ich auch gemerkt habe: Wenn ich den Tag mit E-Mails oder Instagram anfange, dann fällt es mir ebenfalls wahnsinnig schwer, hinterher noch die Kurve zu kriegen und kreativ zu werden, deshalb versuche ich das zu vermeiden.
Vor etwa einem halben Jahr habe ich das erste Mal einen ziemlich radikalen Schritt getan und mich bei meinem Verleger und meiner Assistentin Käthe bis auf Weiteres von jedem Außendienst abgemeldet, keine Interviews, keine Podcasts, keine Treffen mit irgendwelchen Leuten. Ich wollte es mir mal gönnen, tatsächlich ein ganzes Jahr oder sogar zwei nur zu schreiben, denn das habe ich eigentlich, seit ich mit Anfang zwanzig angefangen habe, noch nie gemacht. Bis jetzt finde ich es toll.
Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Ich habe auf jeden Fall Wochenenden, da ich ja auch Schulkinder habe, und außerdem einen Mann, der sehr viel Wert darauf legt. Ich denke allerdings viel darüber nach, ob ich eigentlich genauso klassisch Wochenende machen würde, wenn ich diese Struktur von außen nicht hätte, ich bin gespannt, wie das läuft, wenn die Kinder mit der Schule fertig sind. Ich habe oft das Gefühl, sehr eigenen Zyklen zu folgen, und manchmal an Tagen mitten in der Woche einen Tag frei zu brauchen, dafür aber am Wochenende frustriert zu sein, wenn ich irgendeiner aufregenden Fährte nicht folgen kann. Ich weiß trotzdem nicht, ob mir das am Ende gut bekommen würde, ich will es aber ausprobieren.
Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Ich bin grundsätzlich sehr ablenkbar, am meisten wahrscheinlich durch Sachen, die sich auch als nützlich verkleiden. Also Aufgaben, bei denen ich mich enorm beschäftigt und nützlich fühlen kann, aber eigentlich nicht wirklich etwas von Wert zustande bringe. Vor allem, wenn es Aufgaben für die Familie sind, da habe ich es schon geschafft, mich über Wochen zu verstricken und überhaupt nicht mehr zu schreiben. Dann fühle ich mich zwar sehr tüchtig, wundere mich aber, warum ich immer unglücklicher und genervter werde, bis ich merke: Du hast seit Wochen nichts mehr geschrieben. Ich werde aber deutlich besser darin, vor allem seit ich weiß, dass das mit meinem ADHS zu tun hat und ich ein Auge drauf haben muss.
Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Tatsächlich kann ich viel besser dranbleiben, wenn ich zum Arbeiten in meine kleine Arbeitswohnung gehe. Wenn ich zu Hause arbeite, weil ein Kind krank ist oder sonst irgendein Ausnahmezustand herrscht, fällt es mir sehr schwer, bei meinem Zeug zu bleiben; dauernd klingelt es an der Tür, dauernd habe ich irgendwas im Blick, was ich außer zu schreiben noch erledigen könnte.
Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Meine ersten Entwürfe diktiere ich beim Spazierengehen, am liebsten im Wald oder in einem ruhigen Park in der Stadt. Vogelgezwitscher ist auf jeden Fall gut! Komplette Ruhe brauche ich nicht, die passt auch nicht so zu dem ADHS-Gehirn. Ich fahre ganz gut mit Musik ohne Text, wenn ich am Schreibtisch sitze, allerdings darf sie wirklich keinen Text haben, sonst höre ich zu doll hin, an Texten konnte ich noch nie vorbeihören. Also geht nur Instrumentalmusik oder Musik mit Texten, die ich sowieso keine Chance habe zu verstehen. Ich sitze aber tatsächlich auch manchmal gerne im Café, wenn ich über irgendetwas nachdenke, mir Notizen für den nächsten Text mache oder so, das ist allerdings eine feine Balance – es muss irgendwie so ein Grundgemurmel im Hintergrund geben, aber einzelne Gespräche dürfen wiederum nicht so laut sein, dass sie mich inhaltlich ablenken. Oft nehme ich Ohrstöpsel mit, mit denen ich alles auf ein angenehmes Geplätscher runterregeln kann.
Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Sehr oft passiert es tatsächlich, dass mir die Lösung für ein Problem einfällt, wenn ich den Gedanken daran gerade völlig losgelassen hab, ein paar Tage später, beim Spazierengehen, oder kurz vor dem Einschlafen im Bett. Es ist ganz gut, dass ich das inzwischen weiß und mich darauf verlassen kann; ich habe gelernt, dass ich Problemstellungen oft einfach nur liegen lassen muss, mich nicht festbeißen darf.
Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Tatsächlich empfinde ich das Gehen an sich – einen Fuß vor den anderen zu setzen – als sehr Flow-induzierend. Wenn ich ein bisschen wenig Motivation habe, hilft es mir auch oft, auf dem Weg zu meiner Arbeitswohnung einen inspirierenden Podcast über das Schreiben zu hören, ein Interview mit irgendjemandem, den ich toll finde. Dann komme ich meistens an und habe total Lust, selber loszulegen. Grundsätzlich habe ich aber gelernt, dass der Flow auch ein bisschen kommt, wie er will, dass es Tage gibt, an denen ich nicht so inspiriert bin. Da mache ich dann so kleine nützliche Sachen, irgendeinen Text aufräumen, irgendwas raussuchen, was mir für einen Text gefehlt hat, solche Dinge. Heute zum Beispiel bin ich sehr begeistert an den Schreibtisch gegangen, weil ich gestern einen Tag voller Flow hatte, von morgens bis abends. Heute war diese Energie dann offensichtlich aufgebraucht, und ich musste umdenken. Das finde ich dann zwar frustrierend, aber auch da hilft die Erfahrung, dass der Flow wiederkommt.
Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Wenn wirklich nichts geht, dann mache ich erst mal einen Mittagsschlaf oder eine geführte Meditation, oder ich gehe mit dem Hund spazieren. Wenn danach immer noch nichts geht, dann übe ich mich im Aufgeben, fällt mir aber schwer. Wie du siehst: Ich bin da auch noch mitten im Lernprozess!
Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Tatsächlich hilft es mir dann am meisten, mich mit meiner Bezugsgruppe zu verbinden, Künstlerfreund:innen zu treffen oder auch einfach ein inspirierendes Buch über das Schreiben zu lesen, einen Podcast zu hören und mich wieder dran zu erinnern, dass ich mit sowas nicht alleine bin.
Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Nein, leider nicht, zumindest nicht bei großen Meilensteinen, da freue ich mich kurz, aber dann gehe ich meistens viel zu schnell zum nächsten weiter.
Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Absolut, wie gesagt, vor allem durch möglichst spezifische, nerdige Podcasts! Außerdem gibt es wunderbare Bücher über das Schreiben, vor allem „Bird by Bird“ von Anne Lamott, die liebe ich sehr, oder „The Art of Memoir“ von Mary Karr. Elizabeth Gilberts „Big Magic“ hab ich auch noch sehr gerne gelesen, obwohl da eigentlich nicht mehr viel Neues drin stand, da ging es dann tatsächlich eher um die Rückverbindung.
Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Sehr viel, obwohl ich in den letzten zehn Jahren versucht habe, die Gewichtung deutlich zu verschieben, mehr auf die Frage zu achten „Wie möchte ich leben?“ als auf „Wie finden andere Leute das, was dabei herauskommt?“. Was mir auf jeden Fall hilft, glaube ich: dass ich inzwischen so viele verschiedene Sachen gemacht habe, die so vielen unterschiedlichen Leuten auf unterschiedliche Art und Weise gefallen haben. Es entlastet mich zu wissen, dass ich nicht auf eine Formel festgelegt bin und dass man eigentlich nie wirklich weiß, was man als Nächstes von mir kriegt.
Wovor hast du Angst?
Jetzt gerade schreibe ich über meine Kindheit und habe ein bisschen Angst, dass sich meine Beziehung zu den anderen Leuten, die darin vorkommen, verändern könnte. Die Verantwortung, außer über mein eigenes auch über das Leben von anderen Menschen zu schreiben, lastet ziemlich schwer auf mir, mehr noch als bei meinem letzten Buch.
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