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„Was bedeutet überhaupt ‚arbeiten‘? Oft erkennt man erst im Nachhinein, was dazugehört hat, einen Text entstehen zu lassen.“

Jan Christophersen, Schriftsteller

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Wenn die Kinder aus dem Haus sind, der Hund sowie Mareike und ich die morgendliche Dorfrunde hinter uns haben, die Zeitung überflogen ist, geht es für mich meistens ab ins Arbeitszimmer. Die Schreibzeit dauert dann etwa bis mittags, wenn die Kinder zurückkommen. Dann muss gekocht, Hausaufgaben müssen begleitet werden, einkaufen ist angesagt, spazieren gehen etc. pp. Wobei Mareike und ich uns die Aufgaben möglichst aufteilen, hoffentlich einigermaßen gerecht. Zwischen den Familiendingen am Nachmittag findet sich dann manchmal noch hier und da eine halbe Stunde. Am Abend schreibe ich praktisch nie.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Die wirkliche Schreibzeit beläuft sich vielleicht auf zwei, höchstens drei Stunden. In dieser Zeit überarbeite und lese ich sehr oft das bereits Geschriebene, ändere daran herum und bemühe mich, immer ein wenig voranzukommen. Mein Schreibprogramm rechnet mir praktischerweise aus, wie viele Wörter ich durchschnittlich pro Arbeitstag schreiben müsste, um zu einem bestimmten Termin eine bestimmte Menge Text geschrieben zu haben. Ich versuche dabei, von realistischen, also niedrigen Schreibzielen auszugehen und schreibfreie Tage einzukalkulieren. Meistens dauert es eben länger als gedacht. Wie so viele kenne ich natürlich die Fehleinschätzung, der man allzu gerne nach einem besonders produktiven Arbeitstag erliegt: Jetzt nur noch zwei Monate lang so weiter, dann ist es geschafft. Klappt aber leider nie. Zumindest bei mir nicht. Deshalb gehe ich lieber von erreichbaren Zielen aus. Gerne eine Seite, mal weniger, mal mehr. Hauptsache, es geht insgesamt voran. Wenn ich gut im Timing liege und mir mein Programm bald nach dem Losschreiben bestätigt, dass die „Pflicht“ erledigt ist, kann ich umso entspannter mit der „Kür“ weitermachen. Mich motiviert das tatsächlich. (Falls es interessiert: Das Programm heißt Scrivener und ist ein sehr gutes Hilfsmittel zum Organisieren und Verwalten vieler kleiner Textbausteine, Recherchen und Fassungen.)

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Das ist schwer zu beziffern. Im Grunde müsste man die Zeitungslektüre, die Gespräche mit Nachbarn, die Mails, die Spaziergänge, das Bücherlesen, Musikhören, Serienschauen, das Herumhängen auf YouTube mit dazu rechnen, weil all das auf verschlungenen Wegen öfter etwas abwirft, was später wichtig wird. Und was bedeutet überhaupt „arbeiten“? Oft erkennt man erst im Nachhinein, was dazugehört hat, einen Text entstehen zu lassen. Außerdem gibt es diese ewigen Zug- und Autofahrten auf Lesungsreisen, die irgendwie Arbeit sind. Das Warten am Lesungsort, bevor die Veranstaltung beginnt. Der Smalltalk mit den Veranstaltern. Die Nacht im Hotel. Die Buchmesse. Die Interviews. Das Kaffeetrinken mit Kollegen und der Besuch im Verlag oder bei der Agentur. Alles irgendwie Teil des Ganzen. Ums Rechnungschreiben und die anderen Büroarbeiten drücke ich mich stets so lange, wie es irgend geht. Es gehört aber leider zwingend dazu, und in meinen Unterlagen und auf meinem Computer halte ich deshalb eine gewisse Ordnung, damit mir später nicht alles auf die Füße fällt.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Gibt es. Muss auch sein. Und schreibfreie Phasen gibt es auch, in denen absolut nichts Literarisches passiert. Die können sich manchmal bedrohlich ausdehnen, sodass es fraglich erscheint, wie ich überhaupt je wieder in einen Schreibfluss finden werde. Aber bislang hat es noch immer geklappt.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Vom Musikmachen, schon immer. Das kann mir jederzeit dazwischenkommen, und es schluckt eine Menge Zeit, über die ich mir jedoch keine Rechenschaft ablege. Musik darf immer sein. Ein Nachteil ist, dass ich an meinem Computer sowohl schreibe als auch Musik mache. Manchmal denke ich, es wäre gut, beides voneinander zu trennen. Solange ich in Schreiblaune bin, ist es jedoch kein Problem.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Früher hatte ich das. Vor allem: Das Internet ausstellen – vollständig und so, dass ich es nicht so leicht wieder anstellen kann. Dafür hatte ich ein Programm, das den Zugang zum Internet für eine Zeit absolut gesperrt hat. Einmal gestartet, gab es kein Zurück mehr, bis die von mir angesetzte Zeit abgelaufen war. Das hat mir damals geholfen. Zurzeit brauche ich so etwas eher nicht. In Arbeitsphasen, in denen die anstehenden Aufgaben klar sind, funktioniert es auch ohne. Schwieriger ist es in den Zwischenphasen, nach einem abgeschlossenen Text und bevor ein neuer in Angriff genommen ist. Aber das ist eh eine Zeit, die zwar ihre schönen und freien Seiten hat, aber immer auch bedrohlich wirkt. Denn was ist, wenn die Ideen einmal ausbleiben?

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Als ich angefangen habe, war mir das Drumherum des Schreibens mehr als wichtig. Damals konnte ich Ewigkeiten damit zubringen, meine Schreibumgebung anders einzurichten und zu optimieren. Allein die Frage, mit welchem Stift und in welcher Art von Notizbuch ich schreibe, hat Unmengen an Zeit (und Geld) gekostet. Mit der Schreibmaschine oder doch lieber mit der Hand schreiben? Mit welchem Schreibprogramm, welcher Schrift? Den Schreibtisch zum Fenster ausgerichtet oder gerade nicht? Als unser Sohn geboren wurde, habe ich notgedrungen und nicht zuletzt aus Zeitmangel damit aufgehört, um mich auf das zu konzentrieren, worauf es am Ende vor allem ankommt: das Schreiben eben. Und dass man überhaupt am Schreibort auftaucht. Das ist das Entscheidende. Wie die Schreibumgebung dann aussieht, ist beinahe egal. Gewisse Vorlieben gibt es natürlich, aber ich sehe sie heute nicht mehr als Voraussetzungen.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Das Schreiben selbst passiert bei mir meistens am Schreibtisch. Es geht aber auch woanders. Die Ideen entstehen jedoch häufiger unterwegs, vor allem beim Spaziergehen. Dabei entstehen erste Sätze, die ich manchmal auch notiere, um zu Hause dann etwas ganz anderes zu schreiben.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Dafür brauche ich vor allem Geduld. Wenn ich am Schreibtisch bin und dort bleibe, ist es (meistens) irgendwann so weit.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Auch hier: Geduld haben. Abwarten. Rumprobieren. Entscheidend ist, sitzen zu bleiben. Eine Art, in einen Text hineinzufinden, an dem ich länger nicht gearbeitet habe, ist für mich schon immer das Abschreiben gewesen. Beim Abtippen verändert sich der Text organisch, zunächst minimal, bald auch genereller. Gerade am Ende einer längeren Textarbeit ist das mitunter sehr hilfreich. So ein Text ist eben über einen langen Zeitraum an sehr unterschiedlichen Tagen entstanden, an denen meine Formulierungskünste unterschiedlich ausgeprägt waren. Deshalb hilft es, eine neue, leere Datei anzulegen und den gesamten Text oder große Teile noch einmal zügig durch die Finger und die aktuelle Sprachwelt fließen zu lassen. Klingt nach einer stupiden Beschäftigung, funktioniert aber ziemlich verlässlich.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Lesen hilft. Das richtige Buch finden, das mir zeigt, was und wie Literatur sein kann. Dabei muss es nichts Hochtrabendes sein, was mich inspiriert. Im Moment sind es beispielsweise Mankells Wallander-Romane, die ich noch einmal in einem Zug hintereinander weglese, obwohl ich nicht plane, in absehbarer Zeit skandinavische Thriller zu schreiben.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Bisher nicht. Aber vielleicht sollte ich damit anfangen?

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Bücher nicht, aber der Rat einiger weniger, ausgewählter Leser. Mareike ist natürlich die wichtigste Stimme zu meinen Texten, auf deren Urteil ich viel gebe. Mit ihr rede ich während des Schreibprozesses ständig über die Dinge, die mich an einem Text beschäftigen. Ihr lese ich auch unfertige Teile vor, heute allerdings weniger oft als früher, um die Spannung länger aufrechtzuerhalten, was an einem Text funktioniert und was nicht (und um sie nicht zu nerven). Mareike ist einfach eine wunderbare Motivatorin, die sich ganz erstaunlich begeistern kann für Ideen, und sie ist alles andere als sparsam mit ihrer eigenen Fantasie, der sie freien Lauf lässt. Ich kann sie als Erstleserin und Ideengeberin jedem jedenfalls nur wärmstens empfehlen.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Wichtig ist mir das Gefühl, nicht in einen leeren Raum hinein zu erzählen. Ich freue mich deshalb über Reaktionen auf meine Bücher, obwohl das auch eine verwirrende Erfahrung sein kann. Die Beziehung zu den Lesenden ist ja immer etwas kompliziert. Auf die Meinungen zu dem Geschriebenen kommt es gar nicht so sehr an, sondern vor allem auf die Bestätigung, dass etwas von dem, was ich erzählt habe, angekommen ist. Wie es angekommen ist, muss nicht zwingend etwas mit dem zu tun haben, was mir beim Schreiben vorgeschwebt hat.

 

Wovor hast du Angst?
Schwer zu sagen. Es könnte aber sein, dass ich mit dem Text, an dem ich derzeit schreibe, eine Antwort auf diese Frage zu finden versuche.

 

www.janchristophersen.de
@christophersen.jan