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„Ich glaube nicht an Erleuchtung oder die Muse oder Inspiration. Ich glaube an Sitzfleisch.“

Isabel Bogdan, Schriftstellerin & Übersetzerin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? 
Ich bin leider die Chef-Prokrastinateuse. Das heißt, so richtig konzentrierte Arbeitstage gibt es vor allem kurz vor Deadline, verbunden mit milder Panik und leichtem Selbsthass, weil ich immer denke: Wenn ich mich von Anfang an konzentriert hätte, müsste die Panik ja gar nicht sein. Ich hätte einfach in Ruhe und Gelassenheit meine Arbeit machen können, statt dauernd im Internet herumzulungern oder beknackte Handyspielchen zu spielen. Was jedenfalls an allen Arbeitstagen gleich ist: Ich schlafe aus. Der Rest ist völlig unstrukturiert und wie es gerade kommt. Und natürlich sind all die schönen Vorteile des freiberuflichen Arbeitens gleichzeitig Nachteile.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)?
Nee. Keine Ahnung, und es ist auch sehr unterschiedlich. Dazu kommt: Ist „am Schreibtisch sitzen und sich mickrig fühlen“ Teil der Arbeit? Einen Fragebogen wie diesen ausfüllen, administrative Arbeiten, Rechnungen schreiben, Bahntickets buchen, Steuererklärung machen? Ich kann es wirklich überhaupt nicht sagen.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Es gibt Tage, die ich ausschließlich mit sowas verbringe. Nicht, weil das alles so irre wichtig wäre, sondern eher für das Gefühl, „schon was geschafft“ zu haben. Wenn ich wirklich Abgabedruck habe, gehen diese Nebentätigkeiten viel schneller und nebenbei. Wenn der Druck noch nicht hoch genug ist, halte ich mich ewig damit auf.
Interessant: Dass ich diese Dinge nicht als die eigentliche Arbeit empfinde. Als der Pfau erschienen und ich auf Lesereisen war, hatte ich monatelang das Gefühl, gar nicht mehr zum Arbeiten zu kommen. Hat eine Weile gedauert, bis ich kapiert hatte, dass meine Arbeit jetzt darin besteht, im Zug zu sitzen. Und bis ich mir erlaubt habe, das für ausreichend zu halten, und nicht mehr dachte, ich müsste dann im Zug eigentlich noch was übersetzen. Das geht manchmal, aber so eine Lesereise ist auch anstrengend, da muss man zwischendurch auch einfach nur aus dem Fenster gucken.
Die Balance zwischen verschiedenen Tätigkeiten zu halten, finde ich eigentlich ganz toll. Ich habe ja viele Jahre lang ein Buch nach dem anderen übersetzt, immer allein zu Hause. Jetzt übersetze ich gelegentlich, dann schreibe ich wieder, dann bin ich auf Lesereise, und diese Abwechslung finde ich großartig.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Das ist immerhin etwas, was ich gut kann! Beim Schreiben läuft das Thema, mit dem man sich beschäftigt, natürlich im Hinterkopf immer mit. Da fällt einem dann beim Waldspaziergang plötzlich irgendetwas ein, was man sich dringend notieren muss. Aber das macht nichts, der Waldspaziergang holt einen trotzdem völlig raus, und ich kann ihn sehr genießen. Er muss allerdings nicht unbedingt am Wochenende sein, das geht jederzeit. Und ich merke, dass es wichtig ist, immer mal wieder ganz rauszukommen. Und dann wieder rein, was ich schwieriger finde.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Das Internet. Social Media. Ich habe sogar ein kleines Programm auf dem Laptop, das „Self Control“ heißt, mit dem man sich für eine selbstgewählte Zeit aus den schlimmsten Webseiten aussperren kann. Mache ich aber viel zu selten.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Ich habe jetzt seit vier Jahren einen Platz in einem Gemeinschaftsbüro. Das heißt, ich ziehe mich morgens richtig an und fahre zur Arbeit, und da bin ich dann bei der Arbeit. Das hilft auf jeden Fall sehr. Wir sind theoretisch zu fünft in einem ehemaligen Klassenzimmer, aber praktisch sind nie alle da. Ein bisschen soziale Kontrolle tut mir sehr gut, ich höre gern an den anderen Schreibtischen die Tastaturen klappern oder eben nicht klappern.
Am allerbesten funktioniert das Schreiben, wenn ich wegfahre. Irgendwohin, wo nichts ist, wo ich niemanden kenne, wo ich ausdrücklich nur zum Arbeiten bin. Das kann auch gut zu zweit oder zu dritt sein.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Jein. Ich kann sehr gut arbeiten, wenn neben mir noch jemand arbeitet. Aber in der Bahn z.B. fühle ich mich beobachtet, da kann ich übersetzen, aber nicht schreiben.
Als ich noch alles zu Hause gemacht habe, habe ich irgendwann festgestellt: Ich kann sehr gut am dafür vorgesehenen Schreibtisch sitzen und übersetzen. Zum Schreiben bin ich aber immer mit dem Laptop durch die Wohnung gezogen, habe am Esstisch gesessen, am Küchentisch, auf dem Sofa, Balkon, Bett; überall, nur nicht am Schreibtisch. Das hat zum einen wahrscheinlich den rein praktischen Grund, dass ich beim Übersetzen noch das Originalbuch auf einem Buchständer daneben haben muss, das geht auf dem Sofa oder im Bett nicht so gut. Aber ich habe auch noch eine steile These dazu: Vielleicht braucht man zum Übersetzen mehr Konzentration und zum Schreiben mehr Inspiration. Die veränderten Blickwinkel in meiner eigenen Wohnung zeigen mir auch nichts wirklich Neues, aber sie sind eben immer mal anders. Keine Ahnung, vielleicht billige Küchenpsychologie.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Haha, jetzt habe ich gerade selbst etwas von Inspiration geschrieben, möchte aber trotzdem hier mit einem Zitat aus „Mein Helgoland“ antworten: „Ich glaube auch gar nicht an Erleuchtung oder die Muse oder Inspiration. Ich glaube vor allem an Sitzfleisch. So protestantisch das klingt: Ich glaube an Fleiß.“ (S. 98)

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Das wüsste ich auch gerne! So richtig das Gefühl, dass es läuft, habe ich ganz selten. Aber tatsächlich schreibe ich irgendwie eruptiv. Dann tippe ich plötzlich los, schreibe fünf Seiten in einer Stunde und denke hinterher: Was war das denn? Ich habe keine Ahnung, was es dafür braucht, dass das passiert, ich wünschte, ich könnte es herstellen. Ich verbringe aber sehr viel Zeit damit, mich zu fürchten, mit dem Gefühl, ich habe nichts zu sagen und keine Ideen, ich weiß ja gar nicht, was ich schreiben will. Bis dann doch etwas rausbricht. Ich bin auch keine von denen, die 700 Seiten schreiben und dann 300 wieder löschen. Was ich einmal hingeschrieben habe, steht da. Natürlich überarbeite ich x-mal und lösche auch mal einen Absatz, aber nicht seitenweise.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Es ist ein absoluter Luxus und ein Riesenglück, dass ich zum Thema „ausbleibender Erfolg“ gar nichts sagen kann. Ich ahne aber: Wenn der Pfau gefloppt wäre, hätte ich vielleicht gar nicht weitergeschrieben. Dann hätte ich vielleicht gedacht, okay, wurde zwar veröffentlicht, war ein Experiment, aber es reicht halt nicht, um das als meine Arbeit zu betrachten.
Wenn Ideen ausbleiben: jammern. Meiner Umwelt auf die Nerven gehen. Warten. Es ist meine Dauerangst – beziehungsweise, noch schlimmer: meine Überzeugung, dass mir sowieso nichts einfällt. Oder dass alles, was mir einfällt, blöd und abgedroschen ist. Aber irgendwann kommt dann anscheinend doch was.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Mein Selbstbewusstsein ist beim Schreiben und Übersetzen ganz unterschiedlich: Beim Übersetzen weiß ich ganz gut, was ich kann und wo ich stehe, da habe ich das Gefühl, sicheren Boden unter den Füßen zu haben.
Beim Schreiben schwimme ich permanent und denke immer, das interessiert alles niemanden. Was hilft? Keine Ahnung. Manchmal: mir die Kritiken zu den letzten Büchern ins Gedächtnis rufen. (Dummerweise ploppen da auch immer die unangenehmen auf.) Es hilft, dass ich ansonsten ziemlich gut im Leben stehe und mich für ein Glückskind halte.
Und wieder: Riesenluxus, dass ich „schlechte Auftragslage, schlechte Kritiken, finanzielle Flaute“ nicht kenne. Natürlich kenne ich schlechte Kritiken, aber die kann ich in der Flut der guten meistens ganz gut wegstecken. Und dass ich auch finanziell abgesichert bin, verschafft mir eine große Freiheit. Ich kann mir immer sagen, wenn es nicht mehr läuft, dann eben nicht, dann übersetze ich wieder. Auch gut. Mir ist aber sehr bewusst, dass das für viele ein Riesenproblem ist.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Was ich schon in all den Übersetzungsjahren immer gemacht habe, wenn ich ein fertiges Buch abgegeben hatte: das Bett frisch beziehen. Erstens ist frische Bettwäsche immer toll, zweitens habe ich kurz vor Abgabe sowieso immer ein leichtes Verlotterungsgefühl, weil alles andere außer Fertigwerden in den Hintergrund tritt und ich mich dann schon richtig darauf freue, wieder so banale Haushaltsdinge zu tun.
Ansonsten liebe ich Sekt.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Diese Bücher kaufe ich immer gerne und lese sie dann doch nicht.
Was ich hier unbedingt erzählen muss: Wir fahren seit ein paar Jahren einmal im Jahr für eine Woche mit 10 (teilweise wechselnden) Kolleg:innen an die Mecklenburgische Seenplatte, um übers Schreiben zu reden. Weil wir ja alle immer allein zu Hause am Schreibtisch sitzen, dort aber alle dieselben Probleme haben. Das ist immer wahnsinnig hilfreich und, na gut: inspirierend. Am ersten Abend sagt jeder, worüber er gern in dieser Woche sprechen möchte, wir schreiben alles auf Post-its und hängen sie an die Küchenwand, und dann setzen wir uns zweimal am Tag zusammen und besprechen die anliegenden Themen. Das kann alles sein, was uns so beschäftigt: Dialoge schreiben, Schreiben über Sex und Gewalt, Erzählperspektive finden, Plotten, Verlagsverträge und Agenturen, Spannungen mit dem Lektorat, Interviewtechniken, Auftrittstraining, Autofiktion, Hörspiel … was auch immer gerade anliegt. Und zwischendurch beim Kochen und Baden im See und auf der Terrasse sitzen ist natürlich auch das Schreiben das Hauptthema.
Aus dieser Gruppe entwickelte sich dann auch noch die Textarbeitsgruppe, bei der wir vorher Textausschnitte herumschicken und uns dann zusammensetzen und alles besprechen. Auch das ist superhilfreich – nicht nur, wenn der eigene Text dran ist, sondern man lernt auch immer sehr viel beim Sprechen über andere Texte.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Kommt drauf an: Beim Übersetzen rechnet niemand mit Anerkennung. Man kämpft natürlich dauernd kollektiv dafür, aber wenn sie einem besonders wichtig ist, wird man besser gar nicht erst Übersetzerin. Da weiß man einfach, dass man sie höchstens in homöopathischen Dosen bekommt.
Ganz anders beim Schreiben, da bedeutet sie mir sehr viel. Ich glaube, ohne Anerkennung… na ja, habe ich oben schon geschrieben. Vielleicht hätte ich nicht weitergemacht. Gleichzeitig denke ich aber gerade: Vielleicht wäre ich auch bockig geworden und hätte gedacht „Das wollen wir doch mal sehen“ und es doch weiter versucht. Keine Ahnung.
Die schönste Form der Anerkennung kommt von Leser:innen, die mir sagen, dass meine Bücher etwas mit ihrem Leben gemacht haben. Sie zum Sachenmachen ermutigt, sie ins Lesen zurückgebracht, dafür gesorgt haben, dass sie sich endlich verstanden fühlen. Das rührt mich immer sehr und sagt mir, dass es nicht sinnlos ist, was ich tue.

 

Wovor hast du Angst?
Dass ich auffliege. Dass jetzt rauskommt, dass ich in Wahrheit gar nichts kann. Jetzt kommen sie mir auf die Schliche. Außer an Prokrastination leide ich nämlich auch noch am Impostor-Syndrom.

 

… Was ich noch loswerden will:

Was das Schreiben angeht, bin ich voller Selbstzweifel, to say the least. Ich sitze vor dem dritten Roman (und fünften Buch) wie das Kaninchen vor der Schlange. Mir ist schon klar, wie kokett das klingt, aber ich habe wirklich das Gefühl, keine Ahnung zu haben, wie das gehen soll, einen Roman schreiben. Das ist doch der Wahnsinn.
Aber irgendetwas in mir sorgt ja doch dafür, dass ich weitermache. Dass ich es trotzdem tue. Dass ich dranbleibe. Keine Ahnung, was genau das ist. Ich würde es gern finden und ein bisschen stärken.

 

www.isabelbogdan.de
@isabogdan