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„Die schönste Art der Inspiration liegt in der Beobachtung von Menschen.“

Denis Metz, Cartoonist

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Ich bin zur Hälfte freiberuflicher Cartoonist, Illustrator und Grafiker, zur anderen Hälfte angestellter Kommunikationsdesigner. Mein regulärer Arbeitstag teilt sich in der Mitte. Von 8:00 bis 13:00 Tourismus-Marketing und Grafik im Rathaus der Gemeinde Baltrum, ab etwa 14:30 selbständig von zu Hause aus. Hier steht je nach Auftragslage mal mehr, mal weniger Arbeit an. Feste Rituale sind der Nachmittagstee und das Abendbrot mit der Familie. Nicht selten reicht die Zeit dazwischen nicht und ich arbeite nach dem Abendbrot noch ein bis zwei Stunden weiter.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)?
5 Stunden im Angestelltenverhältnis.
3 bis 4 Stunden selbstständig.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Etwa 3 Stunden Bürokram pro Woche, würde ich schätzen. Ich nutze dafür Zeiten, in denen gerade nichts Dringendes ansteht oder die Inspiration nicht fließen will. Dinge wie Rechnungen abheften oder die UStVa sind Routine, dabei muss man weder kreativ sein noch viel nachdenken. Schwierig sind für mich Dinge wie Angebote schreiben oder die Akquisearbeit. Das kostet mich sehr viel Zeit, Ruhe und Selbstreflexion. Für einen einzigen Kostenvoranschlag geht schon mal ein ganzer Nachmittag drauf.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Wochenende und Freizeit bedeuten für mich Zeit mit Freunden und der Familie. Da meine Frau auch an den Wochenenden arbeitet und unser Sohn noch zu klein ist, um sich alleine zu beschäftigen, wechseln wir uns ab und achten darauf, zumindest einen der zwei Tage gemeinsam und ohne Arbeit zu verbringen.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Social Media. Für mich als Cartoonist dienen Facebook und Instagram als Veröffentlichungsplattform und Netzwerk-Instrument, um mit den Kolleg:innen in Kontakt zu bleiben und zu sehen, wie die anderen aktuelle gesellschaftliche Themen in ihren Cartoons verarbeiten. Zugleich ist das ein unglaublicher Zeitfresser und Ablenker. Das Gehirn wird mit Unmengen unnützem Zeug bombardiert.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Rechner aus, Handy aus, an den analogen Zeichentisch setzen. Das klappt allerdings nur so lange, bis ich für irgendein benötigtes Motiv auf Bildersuche gehen muss. Google weiß, wie zum Beispiel der Reichstag oder Christian Lindner oder das neue CDU-Logo aussehen. Schwups, ist die Ablenkung wieder da.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Erst seit zwei Jahren habe ich nach Jahrzehnten wieder ein eigenes Arbeitszimmer, klein aber mein. Das genieße ich und weiß es zu schätzen. Für den kreativen Prozess brauche ich absolute Ruhe und keinen Zeitdruck. Eine Stunde reicht für die Entwicklung eines Cartoons locker aus. Meist geht es schneller. Aber ich darf auf keinen Fall im Hinterkopf haben müssen: „Du hast nur eine Stunde Zeit.“ Dann klappt gar nichts.
Die spätere Ausarbeitung kann ich überall machen, auch mit Geräuschkulisse, gerne mit Glas Wein auf dem Sofa neben meiner Frau. Texte wie diesen kann ich problemlos in einem überfüllten Intercity schreiben, Cartoons zeichnen eher nicht.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Viele Ideen entstehen durch Recherche, beim Lesen von Zeitungsartikeln verknüpfe ich die Geschehnisse mit absurden Situationen, daraus werden schließlich Cartoons. Doch sind diese nicht selten zynisch und verkopft. Die schönste Art der Inspiration liegt in der Beobachtung von Menschen. Im Zuhören von Alltäglichem. Wenn die Leute nur wüssten, wie komisch sie eigentlich sind! So entstehen meist die lustigsten Cartoons, solche, die aus dem Bauch kommen und nicht aus dem Kopf.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Nach der Recherche brauchte ich die schon erwähnte absolute Ruhe. Dann zeichne ich die erste Idee auf – die ich später meist verwerfe. Doch wenn ich sie nicht aufzeichne, dreht sie sich im Kopf weiter im Kreis. Erst sobald sie auf dem Papier ist, hat der Kopf Platz für Neues. Während ich die zweite Idee zeichne, entsteht bereits die dritte.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Kommt partout keine Idee, muss ich die Perspektive wechseln, konkret: den Raum. Dann habe ich das Privileg, am Strand spazieren gehen zu können. Doch prinzipiell reicht ein Gang durch die Wohnung oder eine andere Tätigkeit völlig aus. Geschirr abwaschen ist einer meiner erfolgreichsten Inspirationsmotoren!

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Ich habe gerade erst eine solche Phase hinter mir. Der finanzielle Engpass und die maue Auftragslage scheinen fürs Erste überwunden. Eine konkrete Antwort auf solche Krisen habe ich noch nicht gefunden. Das Problem ist, dass eine solche finanzielle Krise schnell am Selbstbewusstsein kratzt und eine Spirale in Gang setzt. In solchen Fällen ist es wichtig, kurz aus der Routine auszusteigen und sich selbst aus der Vogelperspektive zu betrachten. Zu reflektieren, was man in den letzten Jahren alles geleistet hat und wie die nähere Zukunft aussehen könnte.
Ich weiß aus Erfahrung, dass im schlimmsten Falle schon sehr kleine Schritte (wie zum Beispiel das Versenden von Weihnachtsgrüßen an meine Auftraggeber oder ein einfaches Telefonat) genügen, um neue lukrative Aufträge zu bekommen.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Ja. Ist ein großer Auftrag abgeschlossen, gehe ich mit meiner Frau essen. Oder mache etwas andres Schönes.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Das einzige Ratgeber-Buch, das ich in die Hand nehme, ist das „Honorarwerk Illustration“. Erfolgs- oder Lebensratgeber sind mir zu anstrengend. Reden oder Netzwerken mit Kolleg:innen ist mir viel wichtiger.
Vor zwei Jahren habe ich an einem Onlinekurs für Akquisemanagement teilgenommen. Ich hatte den Eindruck, mich überhaupt nicht verkaufen zu können, weil ich mich in der Vergangenheit nie wirklich damit beschäftigen musste, Kunden schienen immer irgendwie von alleine zu kommen. Aber wie gewinnt man neue Kunden? Bettel-Telefonanrufe bei wildfremden Verlagen oder Agenturen sind überhaupt nicht mein Ding, ich hasse so was, empfinde es für beide Seiten als anstrengend.
Am Ende des Workshops, als die Frage nach Netzwerken gestellt wurde, ging mir auf, dass ich mit meinem von mir selbst vor zwölf Jahren initiierten Cartoon-Workshop „Inselwitz“ ein perfektes Netzwerk-Instrument erschaffen habe, das mir seither sowohl Anerkennung und Bekanntheit als auch Aufträge verschafft.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Die Notwendigkeit von Anerkennung ist vielleicht meine größte Schwäche. Ich brauche die Reaktion des Publikums. Und das ist für Zeichner von Cartoons nicht immer einfach, da zwischen Künstler und Publikum grundsätzlich ein Medium steht. Likes auf Instagram sind ein nur scheinheiliges und trügerisches Maß für Anerkennung. Auf Shitstorms darf man sich erst gar nicht einlassen.
Bedeutender sind tatsächlich gehörte Lacher auf Ausstellungen oder bei Lesungen, das Lob eines Kurators oder Verlegers, oder ein gewonnener Publikumspreis.

 

Wovor hast du Angst?
Angst ist ein schlechter Begleiter, aber einer, mit dem man leben muss. Es gibt die persönlichen Ängste, die Sorge um die Gesundheit (meine Augen verschlechtern sich gerade rapide, sodass das Zeichnen bei Kunstlicht mühsam und anstrengend wird), die Sorge vor dem finanziellen Kollaps, die Angst, die Familie nicht mehr ernähren zu können.
Große Sorge bereitet mir derzeit die politische Entwicklung in Europa. Ein Sieg der Rechtsradikalen bei der nächsten Bundestagswahl wäre nicht nur für die Gesellschaft eine Katastrophe, sondern brächte vermutlich auch für Journalisten, Künstler und Satiriker – kurz: für alle Menschen, die sich der Autorität widersetzen – ein Berufsverbot mit sich. Wenn nicht gar eine politische Verfolgung. Und dann? Asyl im Ausland? Und wo, wenn der Rechtsruck auf der ganzen Welt zugleich geschieht?
Aber wie gesagt: Angst ist ein schlechter Begleiter. Und bislang hat mir der Humor immer weitergeholfen. Ich bin schließlich Cartoonist geworden, um mir selbst und meinen Mitmenschen ein Gegenmittel gegen die Angst zu geben.

 

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@herr_schnabulak