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„In schlechten Zeiten sollte man sich vielleicht nicht mit einem amtierenden Superstar zum Kaffee verabreden.“

Daniela Dröscher, Schriftstellerin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? Hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
Für mich als Mutter hat der Alltag immer etwas Unwägbares. Die kostbarste Zeit sind die Vormittage, zwischen 8 und 11 Uhr. Ich nenne diese Zeit die „goldenen Stunden“. In diesem Fenster gibt es nur mich und den Text, manchmal höre ich auch Musik oder meditiere, aber ich bin komplett offline.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Die reine Schreibzeit (ohne Orga, Recherche, E-Mails etc.) liegt zwischen 3 und 5 Stunden. Nicht selten mache ich noch eine Abend-Session, aber die ist selten länger als 2 Stunden.
Die Seitenzahl: Ich habe mich dafür lustigerweise nie interessiert. Vielleicht weil ich eine Vielschreiberin bin und mich darauf verlassen kann, dass ich viel anhäufe. Ich er-schreibe mir meine Texte. Die Angst vor dem weißen Blatt kenne ich in der Form nicht. Die Herausforderung besteht eher im Streichen, darin, in dem Geschriebenen den Bogen zu finden.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Eine ganze Menge. Wobei ich Recherche zur inhaltlichen Arbeit zählen würde. Konzentriert ein Buch zu lesen, das schaffe ich oft nur 1h, das ist zu wenig und das Lesen muss und soll wieder mehr Raum bekommen. 3 h am Tag brauche ich für pure Orga, würde ich schätzen, das wiederum ist zu viel. Während meiner Lesereisen kommen noch die Fahrten dazu. Wobei ich das Glück habe, im Zug und im Hotel gut schreiben zu können, es muss nicht der heimische Schreibtisch sein.
Zur Balance: Ich brauche in erste Linie dieses strenge Zeitfenster am Morgen. Diese Fire-Wall. Wenn abends noch etwas geht, freue ich mich, aber dieses abendliche Schreiben betrachte ich als optional. Oftmals ist es auch ein Überarbeiten, ein Wiederlesen, ein Lautlesen oder das Einarbeiten von Korrekturen. Dass ich ganz und gar „neu“ schreibe abends, ist selten.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Lange Zeit gab es keine, also nicht in dem Sinne, dass ich am Wochenende nichts gearbeitet hätte. Auch wegen der Kinder habe ich aber darauf geachtet, dass es nicht überhandnimmt. Erst seit ein paar Jahren versuche ich wirklich abzuschalten an diesen beiden Tagen.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Zum einen das Internet, klar. Auf gar keinen Fall beginnt der Tag mit Spiegel Online. Das kommt später. Aber auch zu viele Verabredungen oder Termine am Vormittag. Schlafmangel. Gedanken wie die, dass ein Buch / ein Text etwas „erfüllen“ muss. Deadlines finde ich hingegen meist recht produktiv.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Regeln wie die der goldenen drei Stunden (und wie jede gute Regel breche ich sie natürlich verlässlich). Wenn ich sie 3 Tage die Woche beherzige, bin ich glücklich.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Ich bin nicht sonderlich geräuschempfindlich, ich brauche keine absolute Stille – nur eine gewisse. Ich kann z.B. auch im Ruhebereich der DB sehr gut arbeiten. Auch ein Schreibtisch ist nicht notwendig, teilweise schreibe ich auf dem Sofa, Sessel oder auch im Bett. Ich muss Pausen machen können, mich strecken oder bewegen, laut Musik hören. Essenziell ist der Schlaf, das liegt bestimmt am Alter, ich merke, dass ich keine dreißig mehr bin. Was ich ebenfalls sehr liebe, sind kürzere Residenzen. Also raus aus dem Alltag, 1 oder 2 Wochen ohne Care-Work. Das sind unglaublich produktive Tage, die gefühlt drei Mal so lang sind.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Ich glaube, im Grunde ist jedes neue Buch bereits im vorhergehenden verborgen. Ein wenig wie bei den russischen Puppen. Mein nächster Roman erzählt bspw. die Geschichte meines Körpers. Auch die früheren Texte habe ich, obwohl sie historische Figuren zum Gegenstand hatten, nicht gesucht, ich bin ihnen begegnet. Durch Zufall. Mein Debüt verdankt sich einem Fundstück in einer Fußnote. Inspiration kann man nicht planen, sie ist ereignishaft. So ist es auch beim autofiktionalen Schreiben, bei dem man ja meinen könnte, so dicht am eigenen Leben, wie es erzählt, da könne man jederzeit aus dem Vollen schöpfen. Bei mir ist ja der Wortteil „Fiktion“ schon sehr entscheidend. Also ich brauche eine Idee für eine Geschichte. Mir muss das Dilemma einer Figur klar vor Augen stehen. Und dann erst suche ich nach der Form – und nach ihr suche ich lange. Dieser formale Zugriff auf die Geschichte stellt sich dann meist jäh ein, manchmal in den profansten Umgebungen. Beim Supermarkt, vor dem Regal mit den Tomaten o.Ä. Ich habe nie verstanden, wie man auf Reisen gute Schreibideen haben kann, ich bin dann immer viel zu sehr mit dem Außen beschäftigt. Die Ideen kommen erst später, im Nachklang oder Nachgang einer Reise.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Ich komme oft und leicht in den Flow. Echte Blockaden sind selten. Wichtig dafür ist, dass ein Tag ruhig und geordnet beginnt. Habe ich am Morgen eine Viertelstunde Zeit für meine Morgenseiten (3 Seiten nach “The Artist’s Way“) & dazu einen ersten Kaffee, ist der Flow recht verlässlich da. Manchmal muss ich auch direkt in das Manuskript, ohne Morgenseiten, immer dann, wenn sich im Text etwas gelöst hat. Das ist der magische Moment, in dem sich die Dinge wie von selbst anordnen. Etwa wenn man plötzlich das Ende kennt. Oder weiß, welches Geheimnis eine Figur in sich trägt.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Ich gehe spazieren oder meditiere bzw. mache neuerdings etwas ziemlich Abgefahrenes: Selbst-Hypnose. Früher habe ich versucht, mich an Texte zu zwingen, das mache ich inzwischen nicht mehr, es bringt nichts und macht schlechte Laune. Wenn es einen verlässlichen Weg gibt, den Flow zu vertreiben, dann ist es ein zu großer Druck. Zeitlicher, finanzieller Art.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Der Austausch mit Menschen. Sowohl mit Freund:innen als auch mit Kolleg:innen. Das hilft ungemein. Wenn es bei einem selbst so überhaupt nicht läuft (gefühlt oder faktisch), kann man den Erfolg anderer nicht immer gut ‚haben‘, und sollte sich dann vielleicht auch nicht mit einem „amtierenden Superstar“ zum Kaffee verabreden, wie Isabel Bogdan es einmal scherzhaft auf der Buchmesse nannte, weil ja jede Saison jemand anderes im Rampenlicht steht.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Ich belohne mich mit einer Auszeit von 1, 2 Tagen. An denen ich absolut NICHTS muss. Das fällt mir zwar nicht leicht, aber ich weiß, dass diese Lücken / Pausen sehr produktiv sind. Für meinen Körper und meinen Geist. Und für das Schreiben langfristig auch.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ich habe diverse Freund:innen, die mir immer wieder solche Bücher empfehlen. Ohne diese Empfehlungen würde ich davon nichts mitkriegen. Bücher über das Schreiben wie „Big Magic“ von Liz Gilbert finde ich toll, ich lese sie gerne, aber ich habe nicht das Gefühl, dass sie mein Schreiben wirklich beeinflussen. Was ich hingegen nicht hoch genug schätzen kann, das sind die Gespräche mit meinen engsten Gefährten:  mit Kolleg:innen, meiner Agentin, meines Lektors, meiner Lektorin.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Die schönste Form der Anerkennung erfahre ich, wenn ich mich tief verstanden fühle. Wenn ich den Eindruck gewinne, dass jemand existenziell berührt ist von meinem Text und sich wirklich profund mit ihm in Verbindung setzen kann. Auch kritisch. In kritischer Intimität sozusagen.

 

Wovor hast du Angst?
Die Angst ist der schlechteste Ratgeber beim Schreiben. Ähnlich wie der Kompromiss. Wenn Angst zum Kompass wird, muss ich fürchten, dass das, was ich schreibe, schlecht wird. Dann schreibe ich mit Handbremse, und das ist das Gegenteil von Flow.
Ansonsten ist das Schreiben für mich ein perfektes Medium, um meine Ängste zu integrieren. Angst vor dem, was in der Welt passiert, Angst um meine Kinder, Angst vor der Angst. Und auch davor, dass immer weniger Menschen lesen. Dass wir unser Publikum verlieren. Wie traurig wäre das! Lesen war für mich immer auch ein Heilmittel.
Über meinem Schreibtisch hängt übrigens ein Gedicht von Ilma Rakusa: „Gedicht gegen die Angst“.

 

www.daniela-droescher.de

@danieladroescher