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„Die Liebe konkurriert am meisten mit dem Schreiben, beides will mich ganz in Besitz nehmen.“

Charlotte Gneuss, Schriftstellerin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? Hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
Ich muss noch lernen, das Schreiben überhaupt als meinen Beruf anzuerkennen, und also hat sich bisher noch kein Rhythmus eingestellt. Die Jahre, in denen ich an meinem ersten Roman schrieb, waren von vielen Orten, Menschen, Berufen und Studiengängen geprägt, ich schrieb, wenn ich freihatte. Nach der Arbeit in der Kita beispielsweise schlief ich eine Stunde und setzte mich dann an den Schreibtisch. Dabei ging es übrigens mir gar nicht so sehr um den Text, sondern vor allem darum, dass ich mich schreibend wiederfand, nachdem ich mich am Tag im ständigen Gespräch verloren hatte. Je begrenzter meine Zeit ist, desto dringender muss ich schreiben. Das Schreiben hat mit dem Text also wenig zu tun. In den Aufenthaltsstipendien war das natürlich anders, da hatte ich den ganzen Tag Zeit und konnte mich ganz ins Schreiben fallen lassen. Das waren intensive Phasen, in denen ich großen inneren Frieden spürte und in denen die dramaturgisch wichtigsten Entscheidungen für den Text fielen. Jetzt habe ich viele Lesungen, und ich muss sehen, dass ich Text schaffe. Bisher habe ich es nicht geschafft, das Leben dem Schreiben anzupassen, immer geht das Leben dem Schreiben voran. Das liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Ach, das kann ich nicht sagen. Manchmal bin ich tagelang ohne einen einzigen Satz, ärgere mich darüber, werde unruhig und unleidlich, bin dann auch sozial wenig verbindlich, fühle mich gleichzeitig völlig vereinsamt und leer. Das sind quälende Phasen ohne Freude und Text, die aber für die Arbeit so wichtig sind wie das Schreiben selbst. Dann gibt es die Phasen, in denen ich intensiv schreibe, doch selbst an den besten Tagen entsteht höchstens ein Absatz. Dazu kommt es mir immer vor, als würden meine Texte kürzer, je länger ich daran schreibe.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Seit der Romanveröffentlichung schreibe ich eigentlich nur noch Mails und Rechnungen. Außerdem habe ich Angst vor den Behörden. Ich frage mich, ob es gut oder nervig ist, auf Instagram ständig dieses eine Buch zu reposten, das ich geschrieben habe. In der Nacht holen mich die Sätze ein, die ich im Radio gesagt habe, und die nun für immer in der Welt sind. So viel zu meiner Balance (lacht).

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Freie Zeit ist für mich Zeit mit Menschen, die ich liebe. Das tut mir gut, ich werde weich, durchlässig, lebendig. Allerdings ist dieses Gefühl nur von kurzer Dauer. Letztes Jahr zum Beispiel war ich drei Wochen im Urlaub, ohne Laptop. Das war eindeutig zu lang. In solchen Zeiten ist mir, als würde das Erleben, das ich nicht aufzeichne, gar nicht wirklich stattfinden. Wenn ich nicht schreibe, kommt es mir vor, als sei ich gar nicht da.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Die Liebe konkurriert am meisten mit dem Schreiben, beides will mich ganz in Besitz nehmen.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Nein. Ich habe auch keinen Fitnessplan, keine Ernährungsfibel. Wenn ich esse, esse ich, wenn ich schlafe, schlafe ich, wenn ich mich mit dem Eigentlichen nicht beschäftigen kann, lenke ich mich ab. Ich möchte weder Körper noch Geist strategisch austricksen, ich kann und will nicht streng sein gegen mich und die Welt. Ich will auf mich hören. Ich tue ja, was ich will, wenn ich tue, was ich will.
Das Einzige, das mich wirklich stört, ist, wenn Leute „mal eben“ anrufen, um „kurz was zu besprechen“. Dass ich dann plötzlich ganz direkt auf eine Person reagieren muss, die ich nicht sehe, die ich vielleicht noch nie gesehen habe, verunsichert mich. Außerdem reißt es mich ganz aus meinem Denken, aus dem Schreiben. So ein kurzes Telefonat am Morgen kann meinen gesamten Vormittag durcheinanderbringen. Meine Strategie ist also, meistens nicht ans Telefon zu gehen (verzeiht mir, bitte!).

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Ich wohne seit vierzehn Jahren in Wohngemeinschaften. Als ich an „Gittersee“ schrieb, hatte ich ein 10m2-Zimmer mit Kohleheizung, jetzt wohne ich immerhin auf 14m2. Das wäre eigentlich nicht schlimm, nur fällt kein einziger Sonnenstrahl in mein Zimmer. Hätte ich ein Zimmer im Licht, wäre mein zweiter Roman längst geschrieben, denke ich manchmal. Wenn ich einmal umziehe, werde ich auf ein Arbeitszimmer bestehen. Ein helles Zimmer mit Licht, in dem ich schreiben kann. Ich stelle mir vor, dass der Schreibtisch am Fenster steht und dass in den Regalen alle meine Bücher versammelt sind. (Aktuell habe ich die meisten in Kisten, sie passen ja gar nicht ins Zimmer.) Ich träume von so einem Zimmer.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Ich höre mich am besten, wenn es still ist. Ich liebe Ruhe, und Raum. Wenig Menschen, wenig Verkehr. Himmel und Erde. Der Wald darf nicht weit sein, die Wiesen. Eine solche Umgebung habe ich selten, vielleicht schätze ich sie deshalb so sehr.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Tatsächlich haben mir Aufenthaltsstipendien bisher am besten geholfen. Die soziale Isolation treibt mich ins Selbstgespräch.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Na ja, es gibt ja unterschiedliche Probleme, die ich unterschiedlich angehen muss. Meistens gelingt ein Text nicht, weil er nicht gut ist. Vielleicht habe ich mich in einen Satz verliebt, der aber für sich stehen muss oder bereits alles preisgibt, sodass jeder folgende nur eine Ausführung davon wäre. Oft ist die Idee auch überspannt, oder ich finde keine Stimme. Ohne Stimme ist ein Text sprachlos. Ein Text ohne Sprache sagt mir nichts. Wozu soll ich einen Text schreiben, der mir nichts sagt. Je früher ich ihn wegwerfe, desto besser.  Anders ist es, wenn ich bei einem langen Text, mit dem ich mich im Grunde gut fühle, nicht weiterkomme. Manchmal hilft eine Pause. Ein Stündchen Schlaf. Eine Alpenüberquerung. So ein Text muss zwischendurch eben manchmal liegen wie guter Wein. Wenn er lange genug gelegen hat, sehe ich die Linien klarer, denen es zu folgen gilt. Wenn ich aber selbst nach so einer Alpenüberquerung nicht weiterkomme, dann muss ich arbeiten wie eine Architektin. Ich zeichne großflächige Bilder, der Roman sieht dann aus wie ein Bauentwurf, der Text ist ausgedruckt, es gibt einen Zettelkasten, jeder Absatz ist ausgeschnitten und farblich markiert, es wird dann hin- und hergeschoben und irgendwann erkenne ich den Fehler, vielleicht finde ich eine Lösung. Wenn auch das nicht gelingt, wandert der Text in den „Ordner der gescheiterten Versuche“.  Von all dem, was ich mir vornehme, gelingt nur das Wenigste. Und das Wenigste von dem, was gelingt, hat Erfolg.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Tags tu ich so, als würde es mich nicht kümmern, nachts liege ich schlaflos. Dann rufe ich Freundinnen an, ich kann sie immer anrufen, ich liebe sie sehr.  (Falls ihr das lest: Ich liebe euch sehr!). Außerdem habe ich tolle Kolleg:innen. Der Betrieb ist hart, doch viele Menschen darin sind sanft. (Falls ihr das lest, ich danke euch sehr!) Und dann sind da noch meine Eltern und nahe Menschen, die in anderen Berufen arbeiten und mir zeigen, dass es nur ein Text ist, nur der Literaturbetrieb. Das hilft manchmal. Am Ende aber bleiben Narben, und ich hoffe auf die Zeit.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Dieses Jahr bin ich zum ersten Mal alleine Taxi gefahren, habe mir die Haare bei einer Friseurin schneiden lassen, habe alleine in Restaurants gegessen. Ob das Belohnung oder Kompensation ist, weiß ich nicht.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Ratgeberbücher habe ich immer nach wenigen Seiten weggelegt. Ich vertraue eher auf Menschen, die meine Texte lesen und das Gelesene spiegeln.
Und natürlich werden alle Texte, die ich schreibe, von den Büchern begleitet, die ich gelesen habe. Nur dachte ich beim Lesen eines Buches nie: Das will ich auch mal machen. Es lag außerhalb meiner Vorstellungskraft, einmal selbst ein Buch zu schreiben.  So etwas hätte ich mir nicht zugetraut. Es waren Menschen, die mir gesagt haben, schreib einen längeren Text. Du schaffst das. Ich bin diesen Menschen sehr dankbar.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Gelesen zu werden ist die höchste Form der Anerkennung, nur im Akt des Lesens wird der Text lebendig. Außerdem bange ich natürlich immer um die Anerkennung der Menschen, die mir am nächsten stehen. Und selbstverständlich ist jede öffentliche Besprechung, jede Nominierung und jeder Preis unendlich wertschätzend. Ich mag es sehr, wenn Kritiker:innen meine Versuchsanordnung so verstehen, wie ich sie gemeint habe. Wenn sie darüber hinaus Zusammenhänge und Motive erkennen, die ich nicht intendiert habe, bewundere ich das. Ich kann durch diese Spiegelung die eigene Arbeit mit anderen Augen sehen. Und trotzdem fürchte ich die Kritik wie ein Gericht. Mich schmerzt es, wenn die Kritik einen wunden Punkt trifft, und doch ist es lehrreich.
Bei Kritik, bei der es um eine bestimmte Agenda, eine politische Sache oder – am schlimmsten – um mich als Autorin geht, bin ich hilflos. Dann steht nicht meine Arbeit, sondern meine Person auf dem Prüfstand. Ich finde es belastend, in der Öffentlichkeit als Frau gelesen und beschrieben zu werden. Am liebsten würde ich die Bühne körperlos betreten. Was ich mag, ist, wenn Menschen sich den Text zu eigen machen. Und ich liebe Leser:innenbriefe. Ich liebe Leser:innenbriefe so sehr. Da liest jemand mein Buch und setzt sich hin und schreibt einen Brief an mich. Das ist das Schönste, das Allerallerschönste.

 

Wovor hast du Angst?
Die Frage ist eher, wovor ich keine Angst habe. Vielleicht Meerschweinchen. Ich habe keine Angst vor Meerschweinchen.

 

@karlundlotte