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„Mein Leben und meine Arbeit sind eigentlich eins.“

Annette Rufeger, Modedesignerin

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Ich stehe gegen 6 Uhr auf. Morgens brauche ich Zeit für E-Mails, Tagesplan schreiben, Instagram usw. Dann alles, was noch ansteht, bevor um 12 Uhr der Laden aufmacht: Schneiderei, Sport.
Ich habe drei Mitarbeiterinnen, die jeweils einen Tag im Laden sind, und wir kümmern uns um Verkauf, Zuschnitt, Musterteilanfertigung usw. bis 19 Uhr. Ich bin meist mit administrativen Aufgaben beschäftigt oder verkaufe im Laden.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Das lässt sich schwer sagen, manchmal habe ich das Gefühl, täglich fünfzehn Stunden zu arbeiten, ohne dass etwas dabei herauskommt. Da die Kollektion zweimal jährlich präsentiert wird, ist zeitlich immer ein Takt vorgegeben. Am besten mache ich mir darüber keine Gedanken, sondern versuche alles im Fluss zu halten. Mein Leben und meine Arbeit sind eigentlich eins.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Siehe oben, das gehört für mich alles zusammen. Das trenne ich gar nicht.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Da ich samstags immer im Laden bin, habe ich Sonntag und Montag frei. Das war nicht immer so. Mit dreißig habe ich die Wochenenden gern durchgearbeitet. Dazu habe ich jetzt keine Lust mehr.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Eigentlich ist die größte Gefahr für mich, wenn ich mich verunsichern lasse, z.B. durch zu viele Meinungen, Wünsche oder praktische Überlegungen. Das killt die Kreativität und ich habe all das im Kopf und muss den erst mal freischaufeln.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Leider zu wenig. Stille Stunde, atmen, rausgehen. Das ist im Alltag aber meist sehr schwierig.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Wenn ich Stille brauche, muss ich zu Hause bleiben. Für die wichtigen Entscheidungen wie Stoffeinkauf und Kollektionsentwurf brauche ich Ruhe. Am besten mache ich so lange gar nichts oder brüte ewig über der Aufgabe, bis ich von selbst (irgendwie ferngesteuert) aufstehe, mich an die Arbeit mache und entscheide. Das dauert manchmal sehr lange, aber irgendwann kommt es dann aus mir raus.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Beim Kaufen der Stoffe, bei Online-Recherchen, beim Skizzieren am Schreibtisch.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Die kreative Arbeit macht wahrscheinlich weniger als 20% meiner Arbeit aus und sie kommt in ganz unterschiedlichen Situationen. Meistens morgens zu Hause, wenn ich Ruhe habe, aber auch im Atelier, wenn wir an den Modellen und Musterteilen arbeiten.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Wenn mir eine Idee nicht gefällt oder nicht gut bei den Kundinnen ankommt, dann lege ich sie erst mal zur Seite und versuche meistens, in der nächsten Saison daran weiterzuarbeiten. Normalerweise hat sich die Idee in meinem Kopf dann schon weiterentwickelt.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Das Beste ist dann, darauf zurückzuschauen, was mir alles gelungen ist. Fotos der vergangenen Kollektionen machen mir immer Spaß.
Schlafen. Laufen. Essen.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Das Ziel ist meine Belohnung. Ich freu mich! Inzwischen gönne ich mir auch schöne Reisen, weil ich in den letzten Jahren immer mehr das beruhigende Gefühl habe, meine Mitarbeiterinnen schaffen es auch ohne mich.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Gespräche über die Arbeitsweisen anderer Kreativer sind selten, aber helfen mir sehr. Bücher über die Kunst, kreativ zu arbeiten, Intuition zu verstehen und sich selbst zu beobachten, sind durchaus eine Hilfe. Manche Rituale habe ich mir tatsächlich auf diese Weise angeeignet.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Das ist einfach: Wenn die Kundin sich in meine Kleider verliebt und sich wohlfühlt.

 

Wovor hast du Angst?
Da ich mit jeder Kollektion finanziell in Vorleistung gehe, gibt es fast immer den Punkt, an dem ich mich frage, ob alles richtig war oder ob ich dem Größenwahn verfallen bin. Eine Grundangst vor dem Risiko. Die Unternehmerinnenseite ist nicht meine Stärke.

 

 

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@annetterufeger