„Manchmal sitzt eine der Katzen auf meiner Druckplatte, da lasse ich freudig kurz den Stift fallen.“
Franziska Neubert, Franziska Neubert Holzschneiderin, Grafikerin & Illustratorin
Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Ich habe recht regelmäßige Arbeitszeiten. Normalerweise fange ich gegen 9:00 Uhr an und versuche bis ca. 19:00 Uhr zu arbeiten. Manchmal kürzer und oft länger. Als meine zwei Töchter klein waren, war die Zeit zwischen 16:00 und 20:30 Uhr heilig, und danach habe ich oft bis in die Nacht hinein gearbeitet. Das kommt jetzt kaum noch vor.
Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Was an Ergebnissen herauskommt, kann ich gar nicht so recht sagen. Manchmal nur eine Farbschicht, manchmal mehrere geschnittene Holzplatten. Es kann insbesondere bei den ganz großen Holzschnitten von 1 m x 1,40 m sein, dass ich sechs Monate bis zum Endergebnis brauche. Zudem bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich – wenn ich meine Holzschnitte drucke und schneide (und bei großen Auflagen mit vielen Farben kann das sehr langweilig sein) – das zur kreativen Tätigkeit zählen würde.
Manchmal komme ich wochenlang nicht zum Zeichnen, weil ich rahmen, Listen schreiben, Bilder am Rechner retuschieren muss usw. Das verursacht fast einen Phantomschmerz. Irgendwann muss ich dann wieder den Stift in die Hand nehmen.
Wenn man die Arbeit an der Druckplatte mit Skalpell, Geißfuß und Hohleisen sowie das Drucken zur regulären kreativen Arbeit zählt, dann würde ich sagen, ca. 40 bis 50% sind kreative Arbeit.
Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
50 bis 60% meiner regulären Arbeitszeit sind Selbstverwaltung: Buchhaltung, Unterrichten, der Onlineshop, die Webseite, Listen schreiben, Ausstellungen vorbereiten, Bewerbungen schreiben, mein Ehrenamt mit meiner Atelierkollegin Petra Schuppenhauer, die Künstlerinnengruppe augen:falter und vieles mehr… So richtig nachgerechnet habe ich bisher nicht. Und dann muss ich meine angewandte Arbeit (Buchumschläge u.Ä.) noch mit meiner freien – von Aufträgen losgelösten – Kunst aufteilen.
Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Es gibt Phasen im Jahr, in denen ich wenig oder gar keine Wochenenden habe. Das sind Messezeiten, z.B. die Leipziger und die Frankfurter Buchmesse, die BuchDruckKunst in Hamburg usw. Vernissagen finden ebenfalls oft an Wochenenden und abends statt, das gehört dazu. Wenn ich danach wieder ein wenig Zeit zum Luftholen habe, finde ich das aber völlig in Ordnung.
Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Freiwillig lasse ich mich gern von meiner Familie ablenken. Manchmal sitzt eine der Katzen auf meiner Druckplatte, da lasse ich ebenfalls freudig kurz den Stift fallen. Und wenn die Wassertemperaturen so sind, dass man in einen der Seen im Leipziger Umland springen und schwimmen kann, hält mich nicht viel am Schreibtisch. Da das nur eine recht kurze Zeit im Jahr ist, ist das eher die Ausnahme. Sonst bin ich – glaube ich zumindest – recht diszipliniert.
Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Wieder an die Arbeit gehen…
Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Es gibt mehrere Orte, an denen ich arbeite, und diese sind funktional:
Der Zeichentisch mit Schräge im Atelier. Dort sollte es nicht zu aufgeräumt sein, weil ich das normalerweise erst mache, wenn ein Projekt abgeschlossen ist. Da sitze ich oft stundenlang an Zeichnungen und Holzplatten. Anders als beim Schneiden von Druckplatten, wobei mein Hörbuchverbrauch sehr hoch ist, ist es beim Zeichnen eher still. Dort sind auch mein Rahmenlager und die Papierschränke.
Die Druckwerkstatt: eine Kniehebelpresse, Spachtel, Farbtöpfe, ein Farbstein, Walzen, Papierstapel. Diesen Raum teile ich mir mit Kollegen. Da gilt die Regel, der Raum sollte für den Nächsten, der druckt, sauber und benutzbar sein.
Der Rechnerarbeitsplatz: Das ist ein ganz klassischer Arbeitsplatz mit Scanner und Drucker.
Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Immer und überall und immer erst im Kopf. Die Augen habe ich immer dabei. 😉 Manchmal beschweren sich meine Familienmitglieder, dass ich irgendwo zu genau hinschaue. Das merke ich oft gar nicht.
Ideen entstehen zumeist auch nicht am Schreibtisch. Ehe ich mich hinsetze und teste, ob die Idee trägt, gehe ich damit einige Zeit spazieren, räume auf, dusche und gieße Blumen…
Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Da ich zwischen so vielen Aufgabenfeldern mäandriere, fällt mir das konzentrierte Anfangen oft schwer, insbesondere wenn ich gerade keine Idee habe. Aber wenn ein Projekt – zumeist ein Buchprojekt oder ein großer Holzschnitt – für mich konzeptionell funktioniert, würde ich das, was danach kommt, als Flow bezeichnen. In solchen Momenten kann ich die Zeit völlig vergessen. Manchmal sind es aber auch Abgabetermine, Ausstellungstermine und der Zeitdruck, die die Dinge beschleunigen.
Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Es gibt viele Strategien: Die Routine, keine Angst vor den Aufgaben zu haben, ist nach ein paar Jahren Berufserfahrung sehr hilfreich. Neu anfangen und neu denken, eine Nacht darüber schlafen und mit frischem Blick darauf schauen, Kolleg:innen fragen. Irgendwann kribbelt es in der Nase und ich weiß, dass es etwas werden könnte – eine Art Routine ohne Routine.
Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Ein bisschen zurückzutreten und schauen, wie kritisch es wirklich ist. Ich habe eine tolle Familie, die mich in solchen Momenten sehr stützt.
Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Meistens fange ich gleich etwas Neues an. Deshalb eher nein. Ein bisschen Freizeit, wenn es sehr wild war, ist meine Belohnung.
Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Ich freue mich sehr, wenn Kolleg:innen und Freunde etwas Positives sagen. Die schönste Form der Anerkennung ist, wenn fremde und / oder sehr junge Menschen Arbeiten spontan kaufen, weil ihnen die Sachen wirklich gefallen. Vor ein paar Jahren hat ein zwölfjähriger Junge eine Arbeit von mir (keine für Kinder) von seinem Taschengeld gekauft, das hat mich sehr gerührt.
Wovor hast du Angst?
Das meine rechte Hand nicht mehr funktioniert oder dass ich im Alter nichts mehr sehe. Krankheit im Allgemeinen.
Hat sich die Selbstständigkeit ergeben, war sie notwendig oder gewollt und angestrebt? Was ist das Schöne daran, was das Schwierige?
Die Selbständigkeit hat sich ergeben. Als ich mit meinem Studium in Leipzig fertig war, bin ich mit meiner großen Tochter zum Studium nach Paris gegangen und habe dort meine ersten Buchaufträge erhalten. Es schloss sich ein Meisterschülerstudium an und meine zweite Tochter wurde geboren.
Bei einer Arbeitslosigkeit von ca. 20% damals in Leipzig und mit zwei kleinen Kindern war mir klar, dass es für mich keinen Job geben würde. So bin ich in die Selbstständigkeit reingewachsen.
Das Schönste ist die Freiheit und das ist gleichzeitig auch das Schwierigste. Die Freiheit ist mit der Unsicherheit verbunden, ob man in zehn Jahren noch sein Auskommen hat. Nicht nur schön.
Von wem würdest du gern die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?
Sophie Hunger.
www.franziskaneubert.de
www.grafiknetzwerk.de
www.projekte.augenfalter.de
www.lieblingsdruck.de