Das Geschäft mit dem Gefühl
„Wenn Sie jetzt stöhnen, mein Gott, gibt es denn nur Schlimmes auf der Welt?“, sagte vor einigen Wochen der Moderator Andreas Chichowicz im „Weltspiegel“ und fuhr anschließend fort: „Ich hab volles Verständnis für Sie, ich fühl Sie!“ Um dann, nach all den niederschmetternden Nachrichten über Trump, ecuadorianische Drogenbanden und versinkende Wüstenstädte in Mauretanien eine kleine Reportage anzukündigen, die für bessere Stimmung sorgen sollte.
„Ich fühl Sie“, hatte er das wirklich gesagt? Das war neu, auf jeden Fall im klassischen Fernsehen und in der Sie-Form. Bislang kannte ich den Ausdruck ausschließlich von Menschen, die jünger sind als ich, und aus Social Media-Kommentaren (was oft aufs Gleiche hinausläuft): „Ich fühle dich“ bzw. „I feel you“. Meistens heißt es, dass man eine Meinung teilt, ein Problem kennt. Der Lesestapel ist zu hoch, man weiß nicht, wann man all die Bücher lesen soll? Ich fühle es. Du findest, die Ampel nervt? I feel you. Theresa fürchtet sich jetzt schon vor Weihnachten mit der Familie? Ich fühle sie.
Lange konnte ich mich nicht entscheiden, was ich verwirrender finde, die spezielle Grammatik oder das viele Fühlen. Noch nie, hat man den Eindruck, wurde im öffentlichen Raum dermaßen viel gefühlt. Gefühlt, mitgefühlt, nachgefühlt und eingefühlt. Empathie, jeder Dreijährige kennt heute dieses Wort, gilt seit vielen Jahren nicht mehr nur als Fähigkeit, sondern vor allem auch als Haltung, als Superkraft, als Führungskompetenz, sie wird gelehrt und gepriesen, und theoretisch ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden, absolut im Gegenteil. Nur – wie passt das alles zusammen, frage ich mich, eine Gesellschaft, die aus immer gegensätzlicher werdenden Lagern besteht, die immer härter im Umgang miteinander werden, eine Gesellschaft, die Hate Speech kennt und sich immer tiefer spaltet, also ist es einfach so, dass auf der einen Seite die Hate Speaker stehen und auf der anderen die mit der Empathie? Oder ist die Empathie eventuell nicht immer echt, sondern manchmal auch eine Art Währung im digitalen Zahlungsverkehr, ein Mittel zur Bestätigung und Selbstvergewisserung, ein Instrument zum Erhöhen von Reichweite, Marktwert und sozial-medialer Gegenliebe? Denn natürlich schaffen Herzchen, Likes und „Feel you“-Kommentare eine ganz herrliche Zugehörigkeit, und ich weiß sehr gut aus eigener Erfahrung, dass man sich warm und selig fühlen kann in einer solchen Bubble des gegenseitigen Spiegelns und Hurra-ich-auch-Rufens.
Vielleicht müssen einen die Empathie-Seminare für Führungskräfte eben doch auch skeptisch machen, ähnlich wie „empathetic marketing“, das in den USA trainiert wird: Einfühlung in den Kunden zu Marketingzwecken. Was den eigentlichen Gedanken ja im Grunde pervertiert – denn wenn unter dem Deckmantel der Kundenzufriedenheit vor allem der Verkauf gefördert werden soll, dient die Empathie (man möchte das Wort fast in Anführungszeichen setzen), verknappt gesagt, nichts anderem als dem kapitalistischen Imperativ. Möglicherweise ist das die unverhüllte Bestätigung dessen, wovor ich mich fürchte – dass das Ein- und Mitfühlen eben nicht immer echt ist, sondern ein Mittel zum Zweck, das wäre zumindest der schlechteste Fall. Im besten Fall drückt sich schlicht der Wunsch nach Harmonie aus, nach Nähe und Identifikation, um so der Vereinzelung oder gar Einsamkeit in einer kühler werdenden Gegenwart entgegenzuwirken. Und im allerbesten Fall ist es wahr und ernst gemeint.
In der Verlagsgruppe Bastei Lübbe wurde unlängst ein neuer Imprint aus der Taufe gehoben, Pola. Der Slogan, der die neue Verlagsmarke begleitet, lautet: „Fühl ich“ – und „drückt damit auch sprachlich aus“, so hieß es im „Börsenblatt“, „was der Verlag schaffen will: Identifikationsmöglichkeiten für Frauen.“ Auf der Verlagshomepage steht außerdem: „Bücher, die wir lieben, die uns verstehen, die uns empowern und die uns nicht allein lassen!“ (Und: „Diese Bücher sind relatable, realitätsnah, wie eine Freundin.“)
Keine Ahnung, warum diese Sätze irgendwie lustig klingen in meinen Ohren. Vielleicht, weil es für mich so logisch ist, dass Bücher Identifikationsangebote machen? Weil Bücher mich empowert haben, seit ich lesen kann? (Okay, nicht alle.) Dabei ist gegen die neue Verlagsmarke überhaupt nichts zu sagen, natürlich nicht; interessant ist allein, dass auch hier die aus den sozialen Netzwerken bekannte Sehnsucht aufgegriffen wird, die Sehnsucht nach Identifikation und „relatable“-Sein, eben: nach dem Gehört- und Gesehenwerden, nach Bestätigung.
„I feel you“: Vermutlich hatte der Ausdruck seinen Ursprung in der Hip-Hop-Kultur, wurde von Rappern und R&B-Künstlern als „street expression“ gebraucht, als Slang, der irgendwann Eingang in die Alltagssprache fand und von dort in andere Sprachen (so wie z.B. mit „Jeg føler dig“ ins Dänische oder mit „Ik voel je“ ins Niederländische). Es geht, genau im Sinne von Pola und wie bereits beschrieben, um Zustimmung, um Verständnis: Ich verstehe, was du sagst, mir geht es auch so. Es unterscheidet sich von „I feel for you“ bzw. „Ich fühle mit dir“, was nicht für Zustimmung steht, sondern für echtes Mitgefühl und Mitleid. Streng genommen also gibt es einen kleinen semantischen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen – andererseits gehören „Fühl ich“-Gestus und Empathieverlangen – also der Wunsch, sich empathisch und mitfühlend zu zeigen, Harmonie und Wärme herzustellen – eben doch ganz eng zusammen. Wie anders wären in sozialen Medien die entsprechenden Kommentare und Herzchen eben auch unter sehr privaten, traurigen oder gar Trauermeldungen zu verstehen? Noch dazu von Menschen, die sich oft überhaupt nicht kennen? Wobei natürlich, auch das sei gesagt, selbst auf sozialen Netzwerkwegen persönliche Beziehungen und sogar Freundschaften entstehen können.
Letztlich ist auch egal, wie alles zusammenpasst, die unterschiedlichen Ausdrucksformen fürs Ein- und Mitfühlen, das Zustimmen, Teilen und die vielen Herzchen. Sprachlich und formal müssen wir uns gewöhnen (falls wir es nicht schon getan haben). Und falls wir, anders als Social Media und neuerdings der „Weltspiegel“, mit „Ich fühle dich“ hadern, stehen uns weiterhin genügend andere Ausdrücke und Redewendungen zur Verfügung – man kann sich nach wie vor gegenseitig aus der Seele sprechen, um nur ein schönes Beispiel zu nennen. Es ist Geschmackssache und sicher auch eine Frage des Alters. Inhaltlich aber ist eindeutig, dass wir echtes Verständnis, echtes Mitgefühl und echte Einfühlung nötiger haben denn je, damit unsere Welt nicht noch weiter an Unverständnis, Hass und Kriegen zerbricht, und da sollte uns jedes Mittel recht sein. Nur aufrichtig sollten die Mittel sein.