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„Ein gelungener Satz gibt mir das Gefühl, in Frieden sterben zu können.“

Christoph Simon, Schriftsteller & Kabarettist

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du?
Der ideale Tag ist bis zum Abend terminfrei. In der näheren Umgebung wird nicht gebaut oder gebohrt, Haushaltsarbeit lässt sich erfolgreich ignorieren.
Morgens zwei Units Schreiben, dazwischen eine Unit Bewegung im Let’s Go Fitness um die Ecke. Nachmittags zwei Units Schreiben, dazwischen eine Unit Besorgungen machen.
Units sind Einheiten von fünfzehn Minuten bis zwei Stunden. Der Durchschnitt liegt bei sechzig Minuten. Die Dauer ist abhängig von Lust und Launen und vom Allerlei des Tages. (Ich spreche lieber von Units als von Einheiten, weil ich mir mit dem Begriff Einheiten noch bürolistischer und technokratischer vorkäme, als ich mir eh schon vorkomme.)

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Gestern, Donnerstag, habe ich vier Units geschrieben, insgesamt drei Stunden und zwanzig Minuten. Vorgestern, Mittwoch, waren es fünf Units, insgesamt drei Stunden fünfundzwanzig Minuten. Dienstag waren es drei Stunden und fünf Minuten in vier Units. Montag: vier Units, zwei Stunden dreißig. Dabei herausgekommen sind einundzwanzig sehr rohe Rohfassungen von Gedichten.
Ich notiere die Units, Stunden und Anzahl der geschriebenen Wörter, damit ich sehe, wie ich bei einem Projekt weiterkomme: schildkrötenlangsam zumeist, aber stetig.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Eine Unit für Social-Media-Content. Mails und Kram erledigt sich irgendwie zwischendurch. Recherche brauch ich nicht viel, außer Augen und Ohren offenhalten, da ich mir den Zauber des Alltags zum Thema mache. Akquise von Aufträgen und Auftritten betreibe ich nicht. Wie eine Spinne warte ich darauf, dass mir was ins Netz fliegt.
Früher machte ich mir sehr strenge Wochenpläne, um auch die unliebsamen Sachen zu erledigen. Heute vertraue ich mir: Ich weiß, dass ich tun werde, was zu tun ist.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Wochenenden sind reserviert für Auftritte oder Familienaktivitäten. Was bedeutet Freizeit? Im Kalender der Gefährtin ist grün eingefärbt, wenn sie nicht arbeiten muss und die Kinder bei ihr sind. Bei mir ist grün im Kalender, wenn die Kinder nicht bei mir sind und ich arbeiten darf.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Die größte Gefahr ist Misserfolg. Dass meine Geschichten niemand mehr hören oder lesen will. Dass mir keine Kleinkunstveranstalterin und kein Zeitschriftenredaktor mehr ins Netz fliegt. Von solchen Zukunftsängsten lass ich mich nicht groß ablenken, aber sie verderben mir die Zuversicht und den Enthusiasmus.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Wenn ich an Schwung verliere, wenn die Gedanken abschweifen, wenn’s mich gelüstet, rasch ins Internet zu hupfen – nun, dann hupf ich und lasse die Arbeit ruhen. Früher habe ich mir Vorwürfe gemacht. Tu deinen verdammten Job! Heute sage ich mir: Ablenkung ist nichts Übles. Auf Ablenkungen zu reagieren, spricht für meine Begeisterungsfähigkeit, Offenheit und Sozialkompetenz. Nur weil ich ein Projekt nicht in einem Zug durchziehe, heißt das nicht, dass ich nicht bei der Sache bleiben kann. Ich werde später ins Projekt zurückfinden, ganz gern und ganz von selbst, nachdem ich mir ein paar andere Reize gegönnt habe. Ich breche kein Gesetz, wenn ich ein entspanntes Verhältnis zur Selbstdisziplin pflege.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Ein Sofa und Stille sind perfekt. Lärm und Wind, schon bin ich aus der Fassung. Zur Not geht auch im Zug, mit Mozart oder Oscar Peterson auf den Kopfhörern. Ich hab’s mit schönen Aussichten versucht, mit Mansardenzimmern und Gemeinschaftsateliers, aber am effizientesten bin ich daheim.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Ich picke was heraus aus dem Allerlei des Tages, und dann folge ich der Spur. Mein Geist ist ein Hund, er jagt einem Ball nach, er schnüffelt, er erkundet die Umgebung, horcht auf bei jedem Geräusch, freut sich an Austausch und Neuigkeiten, und irgendwann beißt er sich an irgendwas fest, und dann ändere ich vom Streunermodus in den Fleißmodus.
Der wichtigste Teil der Arbeit? Falls es darum geht, auch mal mit was fertig zu werden: dranbleiben.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Mir gefällt sehr, wie Zora del Buono diese Frage beantwortet hat: „Es gibt leider nur eins: hinsetzen und anfangen. Dann kommt das von allein. Wenn nur das Hinsetzen einfacher wäre.“ Damit mir das Hinsetzen leichter fällt (oder besser das Hinlegen – ich schreibe am liebsten mit ausgestreckten Beinen), trage ich ein Mantra vor mich her:

zen doc flow.

zen doc flow.

zen doc flow.

Was so viel heißt wie: durchatmen, Dokument öffnen, Satz für Satz schreiben.
Meine Projekte überfordern mich regelmäßig, sodass ich mich fürchte, überhaupt das Dokument zu öffnen und mich mit der eigenen Unfähigkeit und Dummheit zu konfrontieren.

zen doc flow.

Atme die Furcht weg, Christoph Simon, öffne das Dokument und schreibe dich Satz für Satz vorwärts. Nein, schreibe nicht, sondern lies einfach, was es dir schreibt.
Oft fühlt sich Schreiben gar nicht wie Schreiben an, eher wie Basteln und Purzeln.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
zen doc flow.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?

Sanft sozial sein. Mit Kulturkollegen ins Bier gehen. Mit der Gefährtin die Sorgen bereden. Mit den Töchtern „American Beauty“ schauen. Mit dem Sohn Tischtennis spielen. Zeichnen. Mit etwas Neuem, Vielversprechendem anfangen.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Kürzlich habe ich ein Manuskript abgeschlossen und an meinen Wunschverlag geschickt. Meilenstein, juhui! Ich weiß, wahrscheinlich kommt ja doch kein Buch dabei heraus. Trotzdem belohne ich mich fürs Erreichen des Zwischenziels mit dem Schreiben von nutzlosen, unverkäuflichen Gedichten.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
James N. Freys „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“ hat mir beim Schreiben des ersten Romans, als ich noch gar keine anderen Autorinnen und Autoren kannte, mit denen ich mich hätte austauschen können, unheimlich geholfen.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Was ich tue, tue ich, um mir selbst und anderen Freude zu bereiten. Ich weiß, wie schwammig sich das anhört. Und wie oberflächlich. Aber es stimmt schon, ein strahlendes Publikum gibt meinen Mühen Sinn. Eine erfreute Leserin erfüllt mich mit Zufriedenheit. Ein gelungener Satz gibt mir das Gefühl, in Frieden sterben zu können. Bezahlte Auftritte und Aufträge lese ich als Indizien dafür, dass ich nicht alles falsch mache.

 

Wovor hast du Angst?
Im Moment? Dass das Manuskript abgelehnt wird. Es würde mich auf Feld eins zurückwerfen und mir schlimmstenfalls alles Selbstvertrauen absaugen.
Im Allgemeinen? Dass meine Ideen abgegriffen und verbraucht sind. Dass ich nur älter werde und uninteressanter. Nicht mehr mithalten kann. Altersarmut. Irgendwann ist was mit dem Rücken, und dann kann ich die Kleinkunstbühne vergessen. Dass ich in alten Sachen von mir lese und merke, dass das alles höchst peinlicher Quatsch ist. Ich wäre überhaupt nicht erstaunt, wenn ich herausfinden muss, dass meine Kunst gar nichts taugt und ich die Leute irgendwie reinzulegen versucht habe.
Ich versuche, die Angst wegzuatmen, ja. Aber ich weiß nicht. Eine Angst scheint die nächste zu ersetzen. Vielleicht bin ich manchmal zu melancholisch. Genug Schlaf würde sicher helfen. Aber es ist Europameisterschaft.

 

 

@christophsimon03
www.christophsimon.ch