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„Komponieren ist für mich die höchste Form von Freizeit.“

Rolf Riehm, Komponist

Wie sieht ein normaler oder idealer Arbeitstag für dich aus, was für einen Rhythmus hast du? Hast du feste Arbeitszeiten oder sehr unterschiedliche?
Ideal ist ein Tag ohne feste, vorgegebene Zeitpunkte, ohne unumgängliche Tätigkeitsforderungen. Wenn ich in einer längeren kompositorischen Arbeitsphase bin, gibt es bei mir keinen bestimmten Tagesrhythmus. Ich schwebe gleichsam auf einer Wolke imaginativer „Versprechungen“. Diese Wolke kann dicht sein, dann löse ich mich, wenn’s geht, sporadisch aus dem häuslichen Tätigkeitsumfeld und bemühe mich um eine konzeptionelle, vielleicht sogar schon klangliche Konkretion. Ist sie eher licht, versuche ich, mit ungezielten, auch oft grafischen Notizen ihrer habhaft zu werden.
Das Komponieren spielt sich bei mir in einem gewissermaßen weit ausgelegten und mit manchen „Nebenzimmern“ ausgestatteten Vorstellungs- und Gefühlsraum ab. Um im Bild zu bleiben: Das können rein emotionale und imaginative Kammern sein, es können aber auch riesige Hallen sein. Darin bewege ich mich dann mal ausführlich, mal nur eben hindurchlaufend. In Zeitstrecken kann ich solche Bewegungen nicht angeben. Wenn sie sich zu konkreter kompositorischer Arbeit verdichten, breiten sie sich in manchen Tagen zu Stunden, morgens, nachmittags, oft auch in die späten Abende hinein aus. Auch können sie einen ganzen Tag belegen.

 

Kannst du sagen, wie viele Stunden pro Tag du im Durchschnitt netto arbeitest (schreibst, malst, übst)? Wie viel kommt im besten Fall dabei heraus (zwei Seiten, eine Skizze, zwanzig Takte)?
Wie viele Stunden ich so in der kompositorischen Arbeitssphäre verbringe – auf den Tag gerechnet können es vier, fünf Stunden sein, eher weniger. Das Komponieren ist eine sehr anstrengende und Kräfte zehrende Tätigkeit! Was dann tageweise dabei an neuer Musik herauskommt, kann wenig, aber gelegentlich auch – mich beglückend! – der Inbegriff des kompositorischen Vorhabens, die Fülle des klanglichen Ausdrucks der erhofften Musik sein.

 

Wie viele Stunden kommen durchschnittlich hinzu für „Hintergrundarbeiten“ und alles andere (Recherchen, Bürokram, Akquise, Website, Social Media)? Wie findest du die Balance zwischen all den Aufgaben, die du als freischaffende:r Künstler:in im Blick behalten musst?
Drei, vier Stunden am Tag, allerdings zum Glück nicht an jedem Tag, können für dergleichen Sachen draufgehen. Solche Erledigungen empfinde ich als ermüdend, im Gegensatz zur auch aufreibendsten kompositorischen Tätigkeit, die mich belebt.

 

Gibt es Wochenenden für dich? Was bedeutet Freizeit?
Da meine Tage nicht in „ich komponiere“ und „ich komponiere nicht“ zerfallen, treffen die Vorstellungen von Wochenende = ohne kompositorische Arbeit und Freizeit = überhaupt kein Gedanke ans Komponieren bei mir nicht irgendwie greifbar zu. Wenn ich es zugespitzt sage, ist Komponieren für mich die höchste Form von Freizeit, ich bin ganz bei mir, frei von allem außerhalb von mir.

 

Was ist die größte Gefahr für dein künstlerisches Schaffen, wovon lässt du dich ablenken?
Gefahren, die zu kompositorischem Unvermögen führen, kenne ich nicht. Ablenken in dem Sinn, dass ich froh wäre, nicht weiterarbeiten zu müssen, kenne ich auch nicht. Aber Ablenkung durch die Aktivität von Mitbewohnern und anderen lieben Menschen nehme ich hin, auch durchaus mit freudiger Entlastung.

 

Hast du Strategien, um dich vor Ablenkungen zu schützen?
Nein.

 

Wie sieht deine Arbeitsumgebung aus, was ist essenziell für dich? Brauchst du zum Beispiel absolute Stille – und wenn ja, wo und wie findest du sie?
Das hängt vom Stadium der Arbeit ab. Ich gucke viel einfach so vor mich hin. Wenn’s ums exakte Notieren geht, lasse ich in meinem Klavierzimmer die Rollläden runter, stelle Telefon und Computer ab, schalte nur die Klavierlampe an und kann dann Stunden ohne Unterbrechung mit der Arbeit verbringen.

 

Wann und wo passiert der wichtigste Teil der Arbeit, wo findest du die größte Inspiration? Bei der Arbeit am Schreibtisch oder zufällig – unterwegs, in der Entspannung, auf Reisen, beim Lesen, im Austausch mit anderen Menschen?
Das ist ein weit gespanntes Feld, könnte ich gar nicht im Einzelnen aufzeigen. Da ich nicht nach Plan arbeite, kommen mir Ideen eigentlich, wo ich gehe und stehe (eben bin ich z.B. vom nachmittäglichen Espresso aufgestanden und verspürte beim Treppe-Raufgehen einen vielleicht tollen formalen Einfall für ein Klavierstück, an dem ich gerade dran bin). Komponieren ist bei mir eine dahingehende, quasi dynamisch fließende Kraft. Auch oft nachts. Manchmal träume ich sogar musikalische Vorgänge, die sich am Tag als gar nicht so schlecht erweisen.

 

Wie oft oder leicht kommst du in einen kreativen „Flow“, und was hilft dir am meisten, um diesen Zustand zu erreichen?
Siehe Frage von vorher. Im letzten, gewissermaßen materialiter definitiven Arbeitsstadium ist das Komponieren bei mir eine Willenssache, das jetzt zu tun. Stimmungen spielen dann höchstens eine stützende Rolle.

 

Was machst du, wenn nichts klappt – wenn Ideen oder Erfolg ausbleiben oder wenn dir nicht das gelingt, was du dir vorgenommen hast?
Ich wende meine Imagination hin und her. Meistens komme ich dann in Vorstellungssphären, in denen ich mich wieder wohlfühle.

 

Was hilft dir, wenn dein Selbstvertrauen angeschlagen ist (z.B. wegen schlechter Auftragslage, schlechter Kritiken, finanzieller Flaute, schlechter Stimmung)?
Ich versuche, solche Nackenschläge zu rationalisieren. Vom Komponieren bringen sie mich nicht ab.

 

Belohnst du dich, wenn du etwas geschafft, ein bestimmtes Ziel erreicht hast?
Ich komponiere für Musiker:innen (bzw. Veranstalter, also Auftragskompositionen), die sich eine Musik von mir gewünscht haben. Wenn ich ihnen dann die Noten geschickt habe, warte ich mit neugieriger, aufgeregter Spannung auf ihre Reaktion. Wenn ihnen das neue Stück gefällt, kann ich mir keinen größeren Lohn vorstellen.

 

Vertraust du auf den Rat anderer oder auf Ratgeber-Literatur? Gibt es Bücher, die dir geholfen haben, Mut zu finden auf deinem künstlerischen Weg?
Mut oder Vertrauen auf den Rat anderer: Ich gebe viel auf die Urteile kompetenter Freund:innen, vor allem auf das Urteil meiner Frau Hilde. Aber Mut, Vertrauen – diese Haltungen in Bezug aufs Komponieren kenne ich nicht.

 

Wie viel bedeutet die Anerkennung deiner Kunst durch andere? Was ist die beste Form der Anerkennung?
Ich erfinde Musik, nicht in einen luftleeren Raum hinein, sondern dazu, dass Menschen sie anhören. „Anerkennung“, also ein gewisser öffentlicher Bekanntheitsgrad, ist dann sozusagen der Impulsgeber für interessierte Leute, sich von diesem Komponisten etwas anzuhören. Der Zuwachs an eigenem Renommee ist ein netter Nebeneffekt, spielt für meine Komponierlust aber keine Rolle.

 

Wovor hast du Angst?
Nicht Angst, aber die gegenwärtige Weltlage bedrückt mich sehr und formatiert gewissermaßen meine kompositorische Imagination.

 

 

www.rolfriehm.de
www.wikipedia.org/Rolf_Riehm